Undertale
Undertale sieht auf den ersten Blick wie das pixelige Indie-Rollenspiel der Woche aus, aber weit gefehlt: Hier wurde ein neuer Kulttitel geboren. Alle Erwartungen, die man seit Jahrzehnten an Rollenspiele hat, kann man gleich einmal getrost über Bord werfen.
Hinter Undertale steckt ein Amerikaner namens Toby Fox, der das Spiel nach einer Kickstarter-Kampagne fast im Alleingang in die Realität gehievt hat, von Design und Programmierung bis zu den Dialogen; sogar den unwiderstehlichen Chiptune-Soundtrack hat er selbst geschrieben. Fox ist ganz eindeutig ein großer Fan der japanischen Popkultur – anders wäre ihm auch kaum eine derartig treffende Hommage und gleichzeitige Dekonstruktion des JRPG-Genres gelungen. Auf den ersten Blick erinnert das Undertale an Klassiker der 16-Bit-Ära, ganz besonders das vielgeliebte EarthBound auf dem Super Nintendo, das selbst schon für seine Zeit ein recht subversives Spiel war. Aber Undertale geht noch ein paar Schritte weiter.
Die Story beginnt klischeehaft: Nach einem Krieg zwischen Menschen und Monstern wurden letztere mithilfe einer magischen Barriere unter die Erde verbannt. Weit her ist es mit der Qualität der besagten Barriere aber nicht, denn viele Jahre später fällt ein Kind mit schulterlangen Haaren und gelber Whats-App-Smiley-Hautfarbe (so einfach kann Inklusion manchmal sein) in ein tiefes Loch und landet geradewegs im Reich der Monster.
Gleich zu Beginn wird man in das tolle Kampfsystem eingeführt: Jedes Mal, wenn man ein Monster trifft, wird auf einen Kampfbildschirm umgeblendet, auf dem man innerhalb eines kleinen rechteckigen Spielfelds mit den Cursortasten Geschoßen ausweichen muss – ähnlich wie in einem Bullet-Hell Shoot’em-Up. Jedes Monster hat seine ganz eigenen Angriffsmuster, oft mit cleveren Twists wie plötzlichen Veränderungen der Schwerkraft oder speziellen Gegenständen, die eingesammelt werden müssen. Aber das ist erst die halbe Geschichte: Man muss in Undertale nämlich kein einziges Monster töten. Statt zu kämpfen, kann man auch einfach versuchen den Gegner zu verwirren, einzuschüchtern oder Freundschaft zu schließen.
Die meisten Monster will man auch gar nicht verletzen, weil sie so verdammt liebenswert sind – von Papyrus, dem übermütigen Skelett mit einer Vorliebe für Spaghetti, das nur in der gleichnamigen Schriftart spricht, bis hin zu Mettaton, dem Roboter mit einer eigenen Fernsehshow und ernsthaften Starallüren. Durch die vielen Figuren, Dialoge, Details und Überraschungen in der Spielwelt fühlt sich Undertale manchmal ein bisschen mehr wie ein Point-&-Click-Adventure an als wie ein JRPG – wie wenn man in The Secret of Monkey Island die SCUMM-Bar kommt und alles ist voller schräger Gestalten, die einen entweder umbringen oder eine witzige Geschichte erzählen wollen. Je nachdem, wie freundlich oder aggressiv man sich verhält, ändert sich auch der Verlauf der Handlung. Mehrmaliges Durchspielen lohnt sich, vor allem, weil Undertale niemals vergisst. Ohne zu viel zu verraten: Entscheidungen aus früheren Playthroughs oder Spielständen fließen in die Geschichte ein.
Also wie gesagt, Vorsicht vor ersten Eindrücken. Undertale hätte einfach nur ein weiteres „nostalgisches“ Retro-RPG sein können, vollgestopft mit wahllosen Popkultur-Referenzen und selbstgefällig-schrulligem Internet-Humor. In Wirklichkeit ist es ein extrem intelligent und sorfältig designtes kleines Kunstwerk mit ganz viel Herz.
Plattform: PC, Spieler: 1, Altersfreigabe (PEGI): KA, Release: 15.09.2015, http://undertale.com