Cerro Torre
Ein scheinbar unbezwingbarer Berg, ein junger Mann, ein Kamerateam und ein großer Sponsor ergeben einen berechnet spektakulären Höhenflug vor traumhafter Kulisse.
Wo Normalsterbliche lieber das schöne Panorama und die frische Luft genießen, suchen ausgewachsene Bergfexe ständig nach neuen Herausforderungen und nach immer höheren, schwieriger zu erklimmenden Gipfeln. Ein besonderes Kaliber in Sachen Extremerfahrung ist der Cerro Torre in Patagonien, im Süden Argentiniens. Mit knapp 3200 Metern zwar vergleichsweise „niedrig“, gilt der spitze Granitfelsen dennoch als einer der am schwersten zu besteigenden Berge und schon einige erfahrene Alpinisten haben sich an ihm die Zähne ausgebissen. Ausgerechnet der im Alpinbereich noch recht unerfahrene, blutjunge Sportkletterstar David Lama möchte die steilen und vereisten Wände des Cerro Torre frei, das heißt wortwörtlich mit Händen und Füßen und ohne künstliche Hilfsmittel wie Seile und Haken, erklettern. Für sein medienwirksam inszeniertes Vorhaben wird ihm von anderen Alpinisten viel Spott und Häme entgegengebracht und er scheitert 2009 auch bei seinem ersten Versuch an den schwierigen Verhältnissen und der unzureichenden Planung, bevor er den Berg 2012 mit neuem Kletterpartner abermals in Angriff nimmt.
Was man braucht, um eine mitreißende Bergerklimmungsgeschichte zu erzählen, weiß der alpinerprobte Regisseur Thomas Dirnhofer genau: ein mystisches, skandalumwittertes Setting, die Stimmen derer, die den Berg kennen und das geplante Unterfangen anzweifeln und einen charismatischen Jungspund, der hoch hinaus will und zwischendurch scheitert, um schlussendlich doch vor traumhaft schöner Kulisse die Zweifler eines Besseren zu belehren. Genau deshalb wirkt der entstandene Film stellenweise so glatt wie die vereisten Bergflanken, die er gekonnt in Szene zu setzen versteht.
Dass David Lama und sein Team diesen schwierigen Berg letzendlich bewältigen werden, ist klar – allein schon wegen dessen zuvor beschworener Unbezwingbarkeit, die sich auch im Untertitel Nicht den Hauch einer Chance (oder, noch dramatischer, im englischen Untertitel: A Snowball’s Chance in Hell) ausdrückt. Spannend in Szene gesetzt und traumhaft bebildert ist das Spektakel dabei allemal. Hier hat der Getränkehersteller mit dem roten Rind im Logo, der wohl so gut wie alles sponsert, was im Entferntesten unter „Extremsport“ einzuordnen ist, tief in die Trickkiste gegriffen.
Mit allerlei technischen Spielereien wird auch beim dramaturgischen Unter- und Aufbau von Cerro Torre gearbeitet. Die inoffizielle Erstbesteigung 1959 durch Cesare Maestri und Toni Egger, bei der letzterer ums Leben kam, wird in, mit dramatischer Musik unterlegten, Schwarzweißbildern nachgespielt und auch Trickfilmsequenzen und Zeitungsmeldungen werden zwischendurch eingestreut. Das iritiert zunächst, ist man die nücherterne Sachlichkeit gewöhnt, mit denen sonst alpine Abenteuer dokumentarisch festgehalten werden und kann wahlweise als nervig-störend oder als willkommene Auflockerung gesehen werden.
Vom Kern und von den eigentlichen Fragen vermag die Bildgewalt von Cerro Torre aber nicht abzulenken. Bei allem technischen und menschlichen Aufwand der nötig war, um die „Bezwingung“ des Berges auf Film zu bannen, bleibt nämlich immer noch die Frage nach dem Warum. Welcher Antrieb steckt hinter einem solchen Abenteuer, das die Besteigung eines Berges, der mit derartiger Ehrfurcht erfüllt und um den sich so viele Mythen ranken, einerseits als menschliche Grenzerfahrung sondergleichen und gleichzeitig als minutiös geplantes, medienwirksam inszeniertes Projekt darstellt? Soll die Bezwingbarkeit der Natur durch den Menschen abgebildet oder Ehrfurcht geschaffen werden vor den Naturgewalten, die ihn an seine Grenzen führen? Wer setzt diese Grenzen überhaupt erst und warum müssen sie ständig überschritten werden? Ist Eitelkeit das Hauptmotiv, das Streben nach Ruhm und Anerkennung oder doch der Wunsch nach Selbstüberwindung? Und wenn es nur um die Erfahrung des Berges und die Gratwanderung zwischen Selbsterfahrung und -überschätzung geht, wozu dann der Hubschrauber und die ganzen Kameras?
Es bleibt, ratlos mit den Schultern zu zucken und die schönen Bilder einer Bergwelt zu genießen, die einfach stumm und stoisch daliegt und sich einiges gefallen lässt – beispielsweise von beflügelten Kletterstars bekraxelt zu werden.
Regie: Thomas Dirnhofer, Darsteller: David Lama, Peter Ortner, Jim Bridwell, Toni Ponholzer, Markus Pucher, Laufzeit: 101 Minuten, Kinostart: 21.03.2014, www.cerrotorre-movie.com