Call of Juarez: Gunslinger
Während sich andere mit digitalisierten Hunden als größten Anreiz für ihren neuen Shooter selbst beweihräuchern, veröffentlicht Techland mit Call of Juarez: Gunslinger heimlich ein kleines Genre-Glanzstück.
Sieht man sich aber einerseits die bisherigen Produktionen des polnischen Entwicklerstudios (u.a. Dead Island und dessen Sequel, die gesamte Call of Juarez-Reihe) und andererseits den letzten, überaus misslungenen Call of Juarez-Ableger (The Cartel, hier zum Test) an, so darf man mit den Vorschusslorbeeren durchaus zurückhaltend sein. Umso überraschter steigt man in den Western-Shooter, der ohne nennenswerte medialen Ankündigungen nun als reiner Download-Titel erschienen ist, ein und wird von Anfang bis Ende mit Genre-typischen Klischees befeuert.
Das interessante dabei ist jedoch, das dies als nicht negativ aufzufassen ist: Mit einem rauchenden Colt in jeder Hand wild herumfeuernd in einer staubigen Grenzstadt einen Banditen nach dem anderen per Kopfschuß und auch noch in Bullet Time auszuschalten macht in Call of Juarez: Gunslinger wohl soviel Spaß wie sonst in kaum einen Shooter dieser (oder anderer) Art.
Trotz (oder vor allem aufgrund des) allzu bekanntem Spaghetti-Western Setting und liebgewonnenen Handlungselementen jenes Filmgenres weiß das Spiel Neuerungen in die Produktion auf innovative Weise zu verknüpfen, die begeistern können. Die Story rund um den Rachefeldzug des Kopfgeldjägers Silas Greaves wird nämlich vom omnipräsenten Protagonisten selbst in einer Bar vor Publikum erzählt (dies stellt auch den Ausgangspunkt dar), die einzelnen Kapitel stellen dabei unterschiedliche Geschichten dar. Mittels Voice-Over werden dem Spieler Charaktere, Motivation, Handlungsorte und dergleichen vermittelt und beschrieben. Wirklich überraschen kann aber dabei vor allem die Tatsache, das manchmal auch Fehler in der Story vorhanden sind – und der Protagonist mit seiner Korrektur dann auch direkt den Spielverlauf beeinflusst. Wenn etwa ein legendäres Duell gegen den US-Sheriff Pat Garrett erzählt und gleichermaßen auch gespielt wird, nur um nach dessen Ende revidiert zu werden (mittels Video-Rückspul-Effekt wird der Spieler nochmal kurz vor das Duell zurückgesetzt), so staunt man schon nicht schlecht.
Mit größtmöglichem Witz, Ironie und Raffinesse wird dieses Element des öfteren gebraucht und trägt entscheiden zur gelungenen Atmosphäre von Gunslinger bei. Die einzelnen Kapitel bieten neben tollen Settings wie einer nebligen Geisterstadt, einem dahinbretternden Zug, einer düsteren Mine oder natürlich einer verregneten Kleinstadt samt High-Noon-schlagender Turmuhr alles, was Verehrer des Genres und gut gemachter First-Person Shooter zu würdigen wissen. Auch das Gameplay vermag dabei nicht zu enttäuschen: Ein Kombo-Meter verlinkt erfolgreiche Kills miteinander, die gewonnenen Erfahrungspunkte lassen sich in Fähigkeiten wie eine längere Dauer der Zeitlupenfunktion (Bullet Time) oder bessere Waffen verwerten.
Dem Spieler bleibt selbst überlassen, ob er eher Pistolen, Schrotflinten oder Gewehre goutiert – die drei Waffentypen bieten genügend spezifische Fertigkeiten, um die jeweilige Spielweise anders zu gestalten. Die Call of Juarez-typischen Duell-Szenen wurden auch verfeinert – aus der Hüftperspektive steuert der Spieler mit den beiden Analog-Sticks jeweils die Position der Hand zur Waffe (was die Geschwindigkeit des Ziehens beeinflusst) und das Zielkreuz, das auf den Gegner gerichtet ist (und Zielgenauigkeit bei erfolgreicher Fokussierung ehöht). Das unter den Duellanten illustre Widersacher wie Jesse James oder die Dalton-Brüder sind, versteht sich dabei von selbst.
Die farbenfrohe Optik mit Cel-Shading-Ansätzen unterstreicht das oftmals in seinen Gewaltdarstellungen explizite Geschehen, oftmals auch mit kleinen Details: Rauchende Colts werden tatsächlich ausgeblasen oder nach einem Duell wieder mit einer kleinen Rotation um den Finger in die Halterung retourniert, durchlässige Fässer verlieren bei Beschuss Wasser und Dynamitstangen können gezielt sowohl in der Luft als auch an den Körpern der werfenden Gegner zur Explosion gebracht werden. Auch bei der Gestaltung der Level wurde Liebe und viel Mühe investiert – der Wiederspielwert wird, dadurch und durch die versteckten “Nuggets of Truth”, die Einblicke in die wahren Hintergründe des wilden Westens geben, nochmalig erhöht. Neben dem überraschend umfangreichen Storymodus, der neben mehreren (auch freispielbaren) Schwierigkeitsgraden, einer New Game+ Option sowie einer Kapitelauswahl für Komplettisten auch zwei unterschiedliche Endings zu bieten hat, offeriert der vierte Teil der Call of Juarez-Serie zudem einen seperaten Duellmodus mit zusätzlichen Gegnern sowie einen umfangreichen Arcademodus, beides mit Online-Leaderboard für kompetitiven Einsatz ausgelegt.
Call of Juarez: Gunslinger bietet somit alles, was das Shooter-Herz begehrt: Forderndes Gameplay mit Suchtcharakter; eine vor allem in ihrer Form großartig erzählte Geschichte, die nicht nur John Ford oder Sergio Leone-Fans begeistert; eine ansprechende audiovisuelle Präsentation und dank unterschiedlicher kompetent beigefügter Spielmodi noch den nicht abstreitbaren Wiederspielwert. Viel und vor allem grandioser Inhalt für wenig Geld – absolute Empfehlung und hoffentlich auch richtungsweisend für kommende Call of Juarez-Releases.
Plattform: PS3 (PSN, Version getestet), Xbox 360 (XBLA), PC, Spieler: 1, Altersfreigabe (PEGI): 16, Release: 22.05.2013, http://callofjuarez.ubi.com