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Gaming als Anti-Kultur

Während man beim Kunstbegriff noch heiß diskutiert, wird kein klarer Verstand bestreiten, daß Videospiele dem allgemeinen Kulturgut angehören. Doch steht dieser Bereich vor Problemen, mit denen kaum ein anderes Medium konfrontiert ist.

Als Technologie-Erscheinung sind diese Unterhaltungsprodukte, wie die Technologie auf die sie setzen, äußerst vergänglich. Das gilt natürlich im Besonderen für diejenigen Spiele, welche auf spezielle Hardware angewiesen sind. Zwar handelt es sich meist um Massenprodukte, so dass sich bis heute immer ein Ersatz auftreiben lässt, doch das Medium wird nicht in alle Ewigkeit ein junges bleiben. Transistoren zerspringen, Displays schließen kurz, technologische Standards verschwinden spurlos.

Neugierig, wie die Zelda-Spiele auf Nintendos Satellaview ausgesehen haben? Das war ein Aufsatz für das Super Famicom (bei uns: SNES – Super Nintendo Entertainment System), der darauf ausgelegt war, Signale eines Radio-Satelliten zu empfangen und so, noch lange bevor das Internet ein Unterhaltungs-Thema war, exklusive Nintendo-Spiele live an den Konsumenten lieferte! Kurios: Obwohl es gelungen ist, den vergänglichen Spielcode aufzutreiben und die Titel als ROMs im Internet zu verbreiten, ist der Live-Radio-Stream, der das Geschehen seinerzeit mit Sprache unterlegte, trotzdem für immer verloren! Oder wer kann sich den Proto-Vorfahren der Guitar Hero Reihe Quest for Fame aus dem Jahr 1995 ansehen, welches mit einem Zubehör-Plek zum Gitarrenspielen ausgeliefert wurde, wenn das Zubehör auf das Parallel-Port des PCs angewiesen ist – eine Schnittstelle die heute praktisch nicht mehr existiert.

Dazu kommt dass die Entwickler selbst keinerlei Bewusstsein für die Archivierungs-Verantwortung ihrer Kreationen zu besitzen scheinen. Was passiert eigentlich mit dem Code eines Spiels wenn der Release ausgestanden ist? Nun, zumeist wird er sorgfältig verpackt, aufs Genaueste kategorisiert und dann irgendwo in Narnia archiviert. Ein wunderbares Beispiel dafür ist Konami: Wer glaubt dass für die HD-Remakes von Silent Hill oder Metal Gear Solid (zur Kritik) einfach nur ein wenig Sourcecode aufpoliert wurde, der irrt. Der Source-Code war verschwunden, denn niemand hätte vor 10 Jahren je gedacht dass man später noch einmal mit dem Produkt Geld verdienen möchte! Und so waren die Entwickler darauf angewiesen die eigentlichen Releases heranzuziehen, gehalten in auf die jeweiligen Konsolen angepasster Maschinensprache, und diese aufwendigst zurück zu übersetzen (man nennt das Reverse Engineering) um Stück für Stück Versionen des Spiels zu schaffen, die auch heute noch gespielt werden können. Ein Aufwand der sich natürlich nur dann lohnt, wenn ein enormer Gewinn zu erwarten ist.

Das Phänomen endet an dieser Stelle aber noch lange nicht. Seit einigen Jahren gesellt sich nämlich ein noch viel größeres Problem zur Materie: Online-Zwang. Auf technischer Ebene bedeutet das, dass Teile des Spielcodes auf außenstehende Server ausgelagert werden, auf die der Konsument keinen Zugriff oder Einfluss hat. Er ist also zur Nutzung seines Spiels darauf angewiesen, dass der Publisher dafür notwendige Server betreibt. Ein Käufer ist der getroffenen Lizenz-Vereinbarung nach der blanken Willkür der Betreibers ausgeliefert.

 

Umstrittene Releases wie das gerade erschienene SimCity (zur Kritik), oder im letzten Jahr Diablo III (zur Kritik) lassen Debatten darüber aufkeimen. Was passiert mit solchen Spielen, wenn der Publisher die Server abdreht? Die Erfahrung zeigt, dass sie dann einfach spurlos verschwinden. So ist zum Beispiel das Online-Framework der originalen Xbox längst Geschichte, auch der heftigste Widerstand der treuen Spieler konnte daran nichts mehr ändern. Der blanke Geiz zeigt sich bei den Entwicklern darin, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist seine Server-Tools öffentlich zu machen nachdem aus dem Produkt kein Gewinn mehr zu holen ist. Frei nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“ wird so dafür gesorgt, dass Spiele endgültig aus dem kulturellen Erbe der Gesellschaft verschwinden. Wie ist also ein solcher Umgang mit Kultur zu werten?

Sieht man sich Verkaufszahlen an, wird man merken, dass die Videospiel-Branche die Filmindustrie bereits abgehängt hat – und so fließen in das Entstehen dieser Projekte enorme Ressourcen. Teams von mehreren hundert Menschen arbeiten zu Stoßzeiten an der Fertigstellung kreativer Visionen, die wie in jedem Medium Aussagen über die heutige Zeit und Momentaufnahmen der Gesellschaft enthalten. Doch wenn es sich dabei um vergängliche Verbrauchsprodukte handelt, fließt dann nicht der gesamte Aufwand ins Leere? Bücher, Filme, Musik, jedes Medium wird heutzutage dem Gesetz nach für die Ewigkeit archiviert. In Schweden fallen unter dieses Gesetz sogar bereits Videospiele, welche mit akribischer Genauigkeit für kommende Generationen aufbereitet werden. Doch was, wenn das angestrebte Format des Publishers einen solchen Prozess von Anfang an unmöglich macht?

Ein Publisher schaft eine Art schwarzes Loch, das zwar Ressourcen schluckt, aber nichts zurück gibt. Er betreibt nichts anderes als Anti-Kultur und im Grunde sollte man sich gut überlegen ob die derzeit beliebte Online-Philosophie nicht eigentlich aus dieser Perspektive heraus aufs Schärfste zu verurteilen ist. Oder ist am Ende gar das leere kulturelle Erbe dieser Unterhaltungsepoche die wichtigste Aussage über das postmoderne Heute?

Titelbild mit freundlicher Genehmigung von Mark Coster – www.flickr.com/people/costermk/




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