Der Taxidermist
Mit Der Taxidermist legt Adrian Gmelch nach zwei überaus gelungenen Sachbüchern seinen ersten Roman vor, eine Mischung aus Entwicklungsroman und Thriller.
Cassegrain hat es von Anfang an nicht leicht im Leben. Er kommt mit einem deformierten Schädel auf die Welt, lebt bei strengen Stiefeltern, die ihn von jung an schuften lassen und erfährt nur Spott und Gewalt. Er flieht vom Land in die Stadt. Doch das Paris des beginnenden 19. Jahrhunderts ist auch kein Zuckerschlecken. Auf der Suche nach dem “Schönen” begeht er seine ersten Verbrechen. Durch Zufall landet er bei einem Taxidermisten und ist fortan fasziniert davon. Cassegrain wird selbst zu einem Tierpräparator und begeht weiter seine Verbrechen an einer Menschheit, die genauso grausam wie er zu sein scheint.
Eleganz und Grazie der Natur und der Tiere waren hier völlig abhandengekommen, und wenn es doch einmal Natur in der Stadt gab, dann waren das Ergebnis verwaiste Ziegen und streunende Hunde, die ganz dem Abschaum von Paris ausgeliefert waren.
Adrian Gmelch erweckt mit Der Taxidermist das Paris des frühen 19. Jahrhunderts zum Leben. Viel Recherche und Wissen fließen in den Roman ein und der Autor schildert ein authentisches Bild jener Zeit. Inklusive all seiner Schrecken und Grausamkeiten. Doch dieser Detailreichtum führt oft auch zu Abschweifungen in der Erzählung. Manchmal ist das geschilderte Gesellschaftsbild schlichtweg zu viel. Hier hätte man an manchen Stellen durchaus etwas kürzen und straffen können. So verliert der Roman leider hin und wieder an Spannung.
Immer wieder verwebt Gmelch interessante Betrachtungen und Gedanken des Protagonisten in die Geschichte. Hierbei geht es dann vor allem um gesellschaftliche und soziale Beobachtungen. Oder er schildert wirklich grausame Momente, ohne dabei plump oder direkt zu werden oder in billige Effekthascherei zu verfallen. Er benutzt dabei stets eine ausdrucksstarke Sprache, die an den stärksten Stellen eine nahezu poetische Bildhaftigkeit erlangt. Diese Passagen gehören definitiv zu den Highlights des Romans.
„Und lass mich raten, jedes Mal ist es wieder ein Pudel?“
„Ja“, entgegnete Cassegrain überrascht. „Woher wissen Sie das?“
„Wenn man einmal weiß, wie die Menschheit funktioniert, dann verstehst du jeden Einzelnen von ihnen. Du weißt nicht zufällig, wie er die Pudel nennt?“
„Ja“, entgegnete Cassegrain überrascht. „Woher wissen Sie das?“
„Wenn man einmal weiß, wie die Menschheit funktioniert, dann verstehst du jeden Einzelnen von ihnen. Du weißt nicht zufällig, wie er die Pudel nennt?“
Zusätzlich gelingt es Gmelch sich dem Stil des 19. Jahrhunderts anzunähern. Der Taxidermist liest sich oftmals nicht nur wie eine Geschichte aus jener Zeit, sondern auch wie zu jener Zeit geschrieben. Das ist schon eine beeindruckende Leistung. Eine weitere große Stärke sind die Dialoge. Gmelch hat ein gutes Gespür für die verschiedenen Stimmen seiner Figuren, wenn er sie doch auch nur etwas öfter reden lassen würde. Dialoge kommen manchmal leider zu kurz, aber wenn die Figuren sprechen, dann ist es stets gelungen. Man merkt bei Der Taxidermist durchaus, dass es ein Debüt-Roman ist. Manches funktioniert bereits gut, anderes weniger, aber Talent ist ohne Zweifel vorhanden.
Der Taxidermist von Adrian Gmelch, 444 Seiten, erschienen bei Atma Edition.