All die Liebenden der Nacht
Mit All die Liebenden der Nacht erscheint nun endlich ein dritter Roman der viel gerühmten japanischen Autorin Mieko Kawakami auf Deutsch. Wie gewohnt geht es um Krankheit, Isolation und Selbstfindung.
Fuyuko ist 34 Jahre alt und Korrekturleserin. Viel mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen. Abgesehen von ihrem Job hat ihr Leben wenig zu bieten. Sie ist sozial unbeholfen, deshalb einsam und wird von einem Großteil ihrer Kolleg*innen gemieden. Das einzige was Fuyuko Freude bereitet sind ihre nächtlichen Spaziergänge durch die erleuchtete Stadt. Sie ist jedoch entschlossen dies zu ändern. Nachdem sie eines Abends mit ihrer Kollegin Hijiri ausgeht und zum ersten mal Alkohol konsumiert, verfällt sie langsam in den Alkoholismus, wird zur Tagestrinkerin, und kann ihren Alltag ohne einer Thermosflasche voll mit Sake nicht mehr bewältigen. Ein Umstand der ihre Mission, entgegen der anfänglichen Vorstellungen, nicht unbedingt leichter macht…
Gegen acht Uhr hatte ich angefangen zu trinken und schon vier 350-ml-Dosen Bier intus. Seit der Sache letzte Woche hatte ich einiges ausprobiert und festgestellt, dass mir, wenn kein Koffein dazukam, nicht übel wurde; deshalb trank ich vormittags nur noch Bier.
Einfühlsam beschreibt Mieko Kawakami das triste Leben der Protagonistin und ihre vom Scheitern geprägten Versuche soziale Kontakte zu knüpfen. Wie in den meisten modernen japanischen Romanen ist die Schnittstelle Individuum / Gesellschaft / Selbstverwirklichung in All die Liebenden der Nacht (2023 Dumont Verlag, org. Subete mayonaka no koibito tachi, 2011) ein großes Thema. Im Speziellen sind es hier die Anforderungen, welche die japanische Gesellschaft Frauen auferlegt. Sie haben gesellig zu sein, dürfen aber eine gewisse Lautstärke nicht überschreiten.
Sie haben entweder zu viele Männer oder zu wenige. Allein der Umstand dass Fuyuko mit Mitte dreißig alleinstehend ist, macht sie in den Augen ihrer Kolleg*innen zu einer seltsamen Eigenbrötlerin. Anhand der Figuren Hiriji, einer ausgesprochenen Feministin, und der konservativen Kyoko, werden die Themen Sozialkonservatismus und Feminismus im Text auf organische Art thematisiert und aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet.
Im Gegensatz zu ihrem Vorgängerroman Heaven (2021 Dumont Verlag, org. hevun, 2009) finden sich hier weitaus weniger Schockmomente und keine grausamen Detailbeschreibungen blutiger Auseinandersetzungen. Die Geschichte lebt nicht von einer ständig aufgeladenen Atmosphäre, sondern ist entspannter und ruhiger. Nichts desto trotz ist All die Liebenden der Nacht keine angenehme Lektüre. Das Werk ist durch und durch melancholisch, die Autorin schafft es die Leere in Fuyukos Leben sehr deutlich zu vermitteln. Die Darstellung von Fuyukos Alkoholismus ist gnadenlos und realistisch. Das Ende ist einerseits traurig andererseits aber auch befriedigend, mehr will ich dazu allerdings nicht vorwegnehmen.
Der Roman zeigt, dass Kawakami es erneut schafft ihre Kernthemen (u.a.: Außenseitertum in der japanischen Gesellschaft, körperlichen/psychischen Krankheiten) in den unterschiedlichsten Arten von Geschichten zu verarbeiten und somit nicht langweilig zu werden. Wer sich auf einen gefühlvollen Roman einlassen will wird definitiv belohnt!
All die Liebenden der Nacht von Mieko Kawakami, 260 Seiten, erschienen im Dumont Verlag.