Wer hat Tante Ruth angezündet?
Sehr geehrte Filmfreunde des untergegangenen Films, herzlich willkommen bei Wonne aus der Tonne! Diesmal gehen wir zurück in die frühen 1970er Jahre, mit einem wirklich tollen und heute kaum mehr bekannten Gruselfilm. Es wird verrückt, unheimlich und auch ein bisschen märchenhaft. Vorhang auf, für einen Film mit einem der lustigsten Titel der Filmgeschichte: Wer hat Tante Ruth angezündet?
England in den 1920ern. Rosie Forrest (Shelley Winters) ist eine exzentrische amerikanische Diva, die vor einigen Jahren ihre Tochter Katherine bei einem tragischen Hausunfall verlor. Dieser Vorfall hat die Dame schwer gezeichnet, dennoch ist sie im Herzen eine gute Person. Denn jedes Jahr zu Weihnachten lädt „Auntie Roo“ 10 Kinder aus dem ortsansässigen Waisenhaus ein, um ihnen ein richtig tolles Weihnachtsfest zu bescheren. Bei der diesjährigen Feier ist auch das Geschwisterpaar Christopher (Mark Lester) und Katy (Chloe Franks) unter den glücklichen Kindern. Als Auntie Roo in ihrem Wahn allerdings glaubt, in Katy ihre verstorbene Tochter wiederzuerkennen, nimmt das Drama seinen Lauf.
Wer hat Tante Ruth angezündet? – lassen wir diesen Titel nochmal ruhig auf uns wirken – ist eine schwarze Horror-Thriller-Komödie aus 1972. Der Originaltitel Who slew Auntie Roo? ist freilich noch ein bisschen gelungener – lässt sich aber in dieser Form auch eher schwer übersetzen. Der Streifen ist dem Horror-Subgenre Grande Dame Guignol zuordnen, dass vor allem Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre große Blüten trieb. Meistens handeln diese Filme von einer gealterten Dame, der das Schicksal übel mitgespielt hat – und die nun Gefahr läuft, den Verstand zu verlieren und ein Gewaltverbrechen zu verüben. Erstaunlich oft wurde diese Rolle mit der großen Bette Davis besetzt. Im vorliegenden Fall wird diese Rolle jedoch von der 2-fachen Oscar-Preisträgerin Shelley Winters verkörpert. Auch keine schlechte Wahl. Denn wo bei Bette Davis der Wahnsinn aus jeder Pore trieft, legt Shelley Winters ihre Auntie Roo wesentlich subtiler an. Diese Rosie ist mehr Opfer ihrer Umstände, eine psychisch labile Persönlichkeit. Mit ihr hat man Mitleid.
Regisseur Curtis Harrington arbeitete zuvor mit Shelley Winters auch im ähnlich gelagerten Film What’s the matter with Helen? zusammen. Beim Drehbuch von Tante Ruth hat übrigens auch der Hammer-Film Haus- und Hofdichter Jimmy Sangster mitgearbeitet. Sangster hatte eine besondere Vorliebe für schwarze Thriller und zeichnet sich in diesem Bereich für ein paar der beeindruckendsten Hammer-Filme verantwortlich.
Tante Ruth ist eine Adaption der bekannten Hänsel-und-Gretel-Thematik, mit leicht veränderten Vorzeichen. Denn während im Märchen Hänsel gemästet werden soll und Gretel zur Tat schreitet, ist es hier genau umgekehrt. Dass die Kinder hier bis zum äußersten Gehen – wobei der armen Tante Ruth vielleicht auch einfach eine Therapie geholfen hätte – macht den makabren Spaß perfekt. Überhaupt ist der Streifen eine sehr saubere, spannende und unterhaltsame Angelegenheit. Eine tolle Atmosphäre, gute Darsteller und eine gut genutzte Kulisse auf engem Raum, schaffen ein großes Filmvergnügen. Es wird dabei nie zu gruselig oder grauslich, weshalb ein gelungener Nostalgie-Abend auch mit einem (nicht mehr ganz kleinen) gruselwilligen Nachwuchs durchaus gelingen wird.
In diesem Sinne: Habt auch mal Verständnis für alte Damen. Selbst wenn sie euch fressen wollen, sie meinen es wahrscheinlich nur gut. Und bleibt seltsam.
Wer hat Tante Ruth angezündet?
OT: Who slew Auntie Roo?, USA, GB, 1972, Regie: Curtis Harrington, Drehbuch: David D. Osborn, Jimmy Sangster, Robert Blees, Mit: Shelley Winters, Mark Lester, Chloe Franks, u.a.
… noch mehr Wonne aus der Tonne