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Deadly Premonition 2: A Blessing in Disguise

10
Adventure

Die Videospielbranche ist hirntot. Wenn man Ausschnitte von  aalglatten Open-World-Blockbustern wie Assassin’s Creed oder Ghost of Tsushima betrachtet, wandelt sich der Gesichtsausdruck wie ferngesteuert in eine freudlose Fratze, deren leere Augen die selbe Leblosigkeit widerspiegelt wie die berechenbaren Welten der AAA-Konstrukteure. Jedes Wort Fokusgruppen-getesteter Nonsense bar jeglicher Persönlichkeit, konstruiert von Menschen, denen Leben fremd zu sein scheint. Auch nach Stunden verzweifelter Suche kein Hauch einer echten Idee zu finden, einer Essenz von etwas Menschlichem, das eine authentische Emotion auslösen könnte. Austauschbare Leinwände gefüllt von den ausdruckslosesten Künstlern unserer Zeit.

In einer Zeit wie dieser tritt Francis Zach Moris auf den Plan, eine der kultigsten Videospielfiguren des letzten Jahrzehnts. Der sympathische FBI-Mann, der mysteriöse Serienmorde untersucht und dabei immer ein wenig Zeit übrig hat, um mit seiner gespaltenen Persönlichkeit einen Diskurs über die Größen der Filmgeschichte zu führen. Man kommt nicht umhin das Werk der japanischen Designer-Legende SWERY, Deadly Premonition, mit David Lynchs Klassiker Twin Peaks zu vergleichen. Das Erkunden eines verschlafenen amerikanischen Nests, in dem man die urbane Seele baumeln lassen kann, indem man sich an frischem Kaffee und delikaten lokalen Sandwich-Kreationen labt und am mondänen Alltagsleben der Einwohner teilnimmt, das hinter der Oberfläche mit pikanten Details gespickt ist. Ein mysteriöser Serienkiller, der mit rituellen Morden für die notwendige Dramaturgie sorgt – und nicht zuletzt ein Hauch von dämonischem Umtrieb.

All das und mehr macht aus Deadly Premonition einen Kulthit, der mit seinem absurden Humor und beinahe perfide inszenierter Laienhaftigkeit eine unübertroffene Gamer-Meme-Fabrik des letzten Jahrzehnts darstellt. Niemand hätte gedacht, dass die Zeit für ein Sequel reift – und doch ist es nun soweit.

Deadly Premonition 2: A Blessing in Disguise ist eine Fortsetzung wie man es sich wünschen kann: Als Standort dienen die Gefilde von Le Carree, einer fiktiven Stadt im sonnigen Louisiana. Ein verträumtes Erholungsidyll, in dem in letzter Zeit der Haussegen schief hängt, da ein grausiger Mord die Bevölkerung zum Rätseln bringt. Die Identität des Täters ist wie schon zuvor das zentrale Thema, auch wenn diesmal der Plot in eine größere Rahmenhandlung gebettet ist. Frei nach True Detective erlebt man Sequenzen, die zehn Jahre in der Zukunft stattfinden und raten lassen, wie Zach zu einer verwahrlosten, resignativen Gestalt degenerieren konnte.

Doch der Großteil des Spiels findet in der Vergangenheit statt, in der man nach Lust und Laune Le Carree erkunden kann. Auf dem Skateboard – wie auch sonst – eilt man durch ekelhaft sterile Vorstadtsiedlungen, dichte Maisfelder oder tingelt einfach nur mal einer verträumten Straße entlang.

All das dient als Kulisse für die charismatischen Vorstadtbewohner, die darin ihren eintönigen Alltag verrichten. Eine Witwe, die täglich in der Bowlinghalle ihrem Partner gedenkt oder auch einer illustren Jazzbar, in der lokale Musiker ihrer gefangenen Persönlichkeit Ausdruck verleihen. Alles betrachtet aus dem Blickwinkel von Zach, für den die Kleinstadt-Einöde ein nie erschöpfender Quell der Freude darstellt. Diverse Quests sind dabei hoch unterhaltsam und beinahe zynisch zu verstehen: So muss sich Agent Moris regelmäßig um Körpergerüche und einen sauberen Anzug kümmern oder sich den hiesigen Eichhörnchen auf dem Familienhaus-Rasen zum Kampf stellen.

Investigative Naturen haben aber die Chance ganz nebenbei wertvolle Hinweise einzusammeln und das Rätsel um den Mörder lange zu lösen, bevor die Handlung sie auf natürlichem Wege adressiert. Die Stadt beinhaltet zahlreiche Hinweise, für die man mit der Materie aus dem Vorgängerspiel vertraut sein muss. Aber auch ohne das Lösen ergibt sich eine spannende Kette an Enthüllungen, die mit großzügiger Regelmäßigkeit im Anschluss an die Dungeon-artigen Action-Sequenzen ausgeteilt werden. Diese sind relativ simpel gestrickt, hindern aber anders als beim Vorgänger nicht den Spielablauf und gehen recht locker von der Hand.

Im Sequel merkt man klar, dass viele der amateurhaften Schnitzer ausgebügelt wurden. Das Spiel ist weiterhin gefüllt mit grotesken Ungereimtheiten, doch jeder Aspekt scheint diesmal willentlich designt zu sein. So gibt es keine seltsamen Sound-Mixing-Probleme, keine billigen Soundeffekte aus der Mottenkiste und die Animationen sind qualitativ akzeptabel.

Die wahre Qualität des Titels ist aber eindeutig das Skript. Anders als bei vergleichbaren Genre-Vertretern ist jeder Satz ein Genuss, jede Konversation eine Delikatesse aus vielschichtiger Ironie – kurzum hat man selbst bei der bedeutungslosesten Nebenfigur selten einen Grund den Dialog ungeduldig wegzudrücken. Charaktere triefen praktisch von einer natürlichen Menschlichkeit, die man in eindimensionalen Videospielcharakteren selten zu sehen bekommt und selbst Zachs Monologe spicken jeden auch noch so unliebsamen Umweg mit Witz und Esprit. Und all das spielt sich ab in einem verstörenden Umfeld aus brutalem Mord und Verbrechen, in dem der Spieler die Abgründe der akribisch skizzierten Psychen erkundet.

Alle Aspekte fügen sich zu einer greifbaren, Detail-verliebten Welt zusammen, die man auf Netflix ohne Pause bingen würde – doch keineswegs sei unbemerkt, dass das Spiel auf der Switch mit schwerwiegenden technischen Problemen kämpft. So stehen regelmäßig Crashes genauso wie Frameraten am untersten Limit auf dem Programm. Doch ist die unterhaltsame Qualität des Titels dermaßen über jeden Zweifel erhaben, hebt sich so sehr von der eintönigen leblosen Open-World-Konkurrenz ab und ist so gefüllt mit der nicht-korrumpierten Vision von SWERY selbst, dass Deadly Premonition 2 über jeden technischen Zweifel erhaben ist und als absoluter Kult-Tipp zu zählen ist.

Plattform: Switch (Version getestet), Spieler: 1, Altersfreigabe (PEGI): 16, Release: 10.07.2020, Link zur Homepage




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