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Das Kabinett des Doktor Parnassus

7
Fantasy

Regisseur Terry Gilliam hat es nicht leicht: trotz ambitionierter Versuche scheint ihm das Schaffen eines wahren Magnum opus einfach nicht zu gelingen. Das Kabinett des Doktor Parnassus dürfte daran nichts ändern.

Mit Fear and Loathing in Las Vegas12 Monkeys und Brazil hat er zwar ebenso eindrucksvolle wie auch zeitlose Klassiker hervorgebracht, ein krönender, über all jenen Werken stehender Wurf glückte Gilliam allerdings bisher nicht mehr. Angesichts seiner letzten Filme könnte man eher eine stete Qualitätsabnahme attestieren: nach sieben Jahren Pause konnte der prominent besetzte und für Gilliam-Verhältnisse hoch budgetierte Brothers Grimm weder Kritiker noch Publikum überzeugen und floppte ebenso wie dessen Nachfolgewerk von 2005, Tideland.

Interessant erscheint auch die Tatsache, dass dem Regisseur verhältnismäßig oft und auf verschiedenste Art und Weise Unglück während der Produktion wiederfährt, welches letzten Endes die Qualität des fertiggestellten Filmes zu trüben scheint. Jene Abfolge von Schicksalsschlägen ging etwa bei seinem 1999 geplanten Projekt rund um seine Version von Don Quixote sogar so weit, dass eine Weiterführung des Drehs nicht mehr möglich war und zur Versinnbildlichung von Gilliams Pech tatsächlich eine Dokumentation rund um die Ereignisse mit Namen Lost in La Mancha im Jahr 2002 erschien (die übrigens ausgezeichnet und sehenswert ist). Doch ein Regisseur vom Format eines Terry Gilliam lässt sich offensichtlich nicht unterkriegen und so ist es auch wenig verwunderlich, dass er trotz eines schweren Unfalls (er wurde in London von einem Auto angefahren) und des Ablebens seines Produzenten William Vince sowie Hauptdarstellers Heath Ledger, Das Kabinett des Doktor Parnassus doch noch zu einer schlüssigen Projektion mithilfe seiner unbändigen Kreativität vervollständigte.

Betrachtet man die Werke des amerikanischen Filmemachers, so treten sofort seine Wurzeln in der Absurdität der englischen Komikertruppe Monty Python (John Cleese, Graham Chapman, Eric Idle, Michael Palin) hervor, welche natürlich in And Now For Something Completely DifferentMonty Python and the Holy Grail, Life of Brian und The Meaning of Life formvollendet auf der Leinwand in Erscheinung treten. Angesichts jener schon damals besonders liebevoll und aufwändig gestalteter Filmsets, Kostüme und Miniaturen (besonders auffallend auch bei Brazil und Time Bandits) entsteht ein gewisser Wehmut bei der Betrachtung seines Filmschaffens im neuen Jahrtausend: Schon die Auftragsarbeit Brothers Grimm hatte zwar die typische Handschrift von Gilliam, die sich zu großen Teilen aus überbordenden Ideenreichtum und künstlerischer Originalität zusammensetzt, jedoch kommen hierbei zu den üblichen Story-bezogenen Problemen des Regisseurs auch noch weniger überzeugende und oftmals belanglose CGI-Effekte hinzu.

Das Kabinett des Doktor Parnassus krankt leider auch an jenen Mängeln: die Geschichte rund um den titelgebenden Magier (großartig: Christopher Plummer), der zusammen mit seiner minderjährigen Tochter Valentina (voller Körpereinsatz: Model Lily Cole), dem langjährigem Wegbegleiter Percy (Verne Troyer) sowie Gehilfen Anton (Andrew Garfield) in einer absurd-faszinierenden Multifunktions-Kutsche durch ein kontemporäres London gondelt und dabei mit klassischen Varietéspektakel das nicht vorhandene Publikum zu verzaubern versucht, verliert mit fortlaufender Dauer sein anfängliches Tempo und verläuft sich innerhalb eines Netzes aus teils undurchsichtigen Handlungssträngen.

In der britischen Metropole wird der Schleier um die Vergangenheit des Doktors gelüftet: Um Unsterblichkeit zu erlangen, ging Parnassus vor tausend Jahren einen Pakt mit dem Teufel ein, der sich damals wie heute als Mr. Nick (auf den Leib geschneiderte Rolle: Tom Waits) zu erkennen gibt. Klarerweise gab es auch ein Gegengeschäft: wenn die Tochter des Doktors ihren 16-Geburtstag feiert, wird sie Eigentum des Teufel. Da jener Tag bald ansteht, besucht der böse Verführer die heruntergekommene sowie nicht zeitgemäße Vorstellung des Magiers und lässt sich prompt auf eine neue Wette ein: Wem es binnen drei Tagen als erstem gelingt, fünf Seelen zu gewinnen, dem soll Valentina gehören. Hilfreich für den Doktor ist einerseits dabei die Tatsache, dass in seinem Kabinett ein Zauberspiegel zu finden ist, mit welchem unbegrenzte, fantastische Traumräume zu erreichen sind und andererseits der ebenso geheimnisvolle wie auch verführerische Fremde Tony (Ledger), der sich schon bald als kompetenter Wegbegleiter bzw. Anziehungspunkt für die Show entpuppt.

So kreativ sich die Geschichte handlungstechnisch anfangs noch entwickeln mag, so verwunderlicher erscheint zunächst die klare optische Abgrenzung zwischen realem und in diesem Sinne passenderweise auch doppeldeutigem „virtuellem“ Raum: Das gezeigte London entpuppt sich als schmutzige, düstere und viel interessantere Kulisse als jener Ort der Vorstellungskraft, die der mittlerweile chronische Trinker Parnassus durch seine Begabung erschaffen kann. Billig anmutende CGI-Effekte, die belanglos und beliebig am Auge vorbeiziehen sind gerade bei Terry Gilliam immer wieder nervtötend und hinterlassen einen schalen Nachgeschmack, vor allem wenn man sich an die hervorragenden Sequenzen von Brazil erinnert.

Überraschend gut funktioniert allerdings der fliegende Wechsel zwischen den Tonys: Ledger spielt den charismatischen Wegelagerer mit viel Witz und Körpereinsatz in der Londoner Realität, erst später kommen seine Ersatzdoubles in Gestalt von Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell in den jeweils betreffenden Fantasieuniversen zu Einsatz und fügen sich aufgrund der jeweiligen Präferenzen – jede im Kabinett des Dr. Parnassus befindliche Person erlebt ihre ganz persönliche und eben auch optische Version vom dort befindlichen Tony – fast anstandslos ein. Während Depp fast nicht von Ledger zu unterscheiden ist und seinen Part gewohnt professionell und mitreißend spielt, wirkt Law absolut deplatziert, was ihm auch anzusehen ist. Colin Farrell darf dankbarerweise die abschließende, nuancenarme Version übernehmen, die er auch ohne besonderen Elan umsetzt.

Ein Gilliam-Film nach 2000, durch und durch: Eine interessante Handlung mit tollen Perspektiven (die stetig an Relevanz und Aussagekraft abnimmt und sich unnötig verkompliziert); eine kompetente, spielfreudige Schauspielertruppe (deren volles Potential durch fehlende Charaktertiefe nicht ausgeschöpft werden kann) und ein kreativer Wahnsinniger mit jahrelanger Erfahrung auf dem Gebiet fantastischer Traumwelten, der das ganze steuert (und leider aus seinen bisherigen Fehlern kaum lernen will). Das Kabinett des Doktor Parnassus erweist sich schlussendlich und angesichts der erschwerten Produktionsbedingungen als kleiner Fortschritt im direkten Vergleich zu seinen filmischen Vorgängern (Brothers Grimm und Tideland); Parallelen zwischen dem titelgebenden Charakter und Gilliam selbst liegen jedoch nahe: Beide verzaubern ihr Publikum mit verrückten Fantasien, beide versagen jedoch oftmals aus eigenem Antrieb und stellen sich selbst scheinbar unüberwindbare Probleme in den Weg, die mit etwas mehr Sorgfalt mühelos zu lösen wären.

Regie: Terry Gilliam, Drehbuch: Terry Gilliam, Charles McKeown, Darsteller: Andrew Garfield, Christopher Plummer, Lily Cole, Heath Ledger, Johnny Depp, Jude Law, Colin Farrell, Tom Waits, Filmlänge: 123 Minuten, DVD/Blu-Ray Release: 01.10.2010




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