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Noel Gallagher’s High Flying Birds – Chasing Yesterday

9
Britpop

Noel Gallagher schreibt weiterhin ganz große Hymnen. Er hat uns – kurz und gut – ein Glanzstück vorgelegt.

Die mittlerweile 47-jährige zweite Hälfte des legendären Duos der Gebrüder Gallagher hat in den letzten Tagen eigentlich hauptsächlich aufgrund seiner anfeindenden Interview-Aussagen als denn bezüglich seines neuen Albums, Chasing Yesterday, auf sich aufmerksam gemacht. alt-J, diese herrliche Truppe aus Leeds, wurde da gleich einmal aufgrund eines Schnurrbarts verdammt. Jake Bugg, seines Zeichens nach Veröffentlichung seines ersten Soloalbums von Noel eigentlich in den Himmel gelobt, wird jetzt schnell als Stiefkind zurück ins Regal gestellt: Immerhin habe er – oho! – einen Ghostwriter, der ihm die schlauen Zeilen, zu denen ihm vielleicht noch ein paar Jahre Lebenserfahrung fehlen, geschrieben haben soll. Den ewigen Bruderzwist müssen wir an dieser Stelle eigentlich gar nicht aufwärmen, man erinnere sich nur kurz an die schönen Manchester-Schlammschlachten, die Noel und Liam sich nicht nur backstage, sondern auch gerne vor versammeltem Stadion geliefert haben. Liam, das Großmaul – und Noel, zwar älter, aber auch keinen Deut besser.

Interessanterweise und in Diskrepanz zu ihrem medialen Auftreten kommen die Oasis-Alben aber immer schon sehr abgerundet, ausgefeilt und harmonisch daher. Und Noel setzt auf altbewährtes Rezept: So sehr Rüpel im real live, so sehr der perfekte und überhaupt nichts anbrennen lassende (mittlerweile) Solokünstler. Schon nach den ersten Sekunden von Riverman, dem ersten Stück der neuen Platte, muss man als bekennender Fan beruhigt aufatmen. Schon das ein- oder andere Stück von Oasis beginnt mit einem Husten, einem Räuspern, einem Einzählen. Ähnlich hier. Wonderwall? Ach, soll man hier wirklich gleich einmal an den allerabgedroschendsten Indie-Klassiker überhaupt erinnert werden? Nicht ganz: schnell setzt die stringente Akkordarbeit, wie wir sie gewohnt sind, ein. Und nach der zweiten Minute hört man plötzlich ein Saxophon, das wir bei Noel eigentlich so gar nicht kennen. Das klingt beinahe sphärisch. Eigentlich haben sich Noel und Liam immer über Jazz lustig gemacht, aber darüber ist der ältere Bruder offenbar nun erhaben. Space Jazz nennt er das, was er dann in „The right stuff“ auf die Spitze treiben wird.

Es blitzen also kleine, subtile Überraschungen vom ersten Track an auf, aber eigentlich wissen wir, was kommen wird. Noel pfeift zwar nicht auf andere Einflüsse, aber am liebsten zitiert er sich immer noch selbst. Standing on the shoulder of giants eben! So überheblich das klingt, so legitim halten wir nun das Endergebnis in Händen. Bei The Girl With The X-Ray Eyes muss man schnell noch einmal einen Blick auf den Display werfen, ob man nicht versehentlich bei The Masterplan gelandet ist. Auch andere Songs erinnern in ihren anfänglichen Melodien, Rhythmen oder Gitarrenriffs stark an Oasis-Klassiker. Noel Gallagher hat sich im Laufe seiner Karriere ein breites Fundament an großartigen Songs geschaffen, die er jetzt munter auseinandernimmt und in neuer Formation wieder zusammensetzt. Ganz ehrlich, wer ein Stück dann auch noch While The Song Remains The Same nennt, weiß schon ganz genau, wie er mit seinen Zuhörern (und Kritikern?) spielt. Haben wir bei You know we can’t go back ein Stück, das wir ebenso auf Be here now hätten verbuchen können, ist die Gitarre in The Heat Of The Moment, der ersten, großartigen Singleauskoppelung, absolut Oasis-untypisch zurückgenommen. Hier dominiert der Bass und der Beat – würde es in diesem Zusammenhang auch nur irgendwie passen, man könnte fast „groovy“ dazu sagen.

Ein Stück, das überzeugen muss, sofern das die ersten vier Nummern nicht ohnehin schon geschafft haben, ist die wunderbare Ballade Dying Of The Light: „It’s alright, if you dance with me tonight, we’ll fight the dying of the light and catch the sun“. Nach klassischem Konzept aufgebaut überzeugt sie mit einer einfachen, ruhigen Kraft, die von Gänsehaut zu einer tiefen Bewunderung dessen umschwenkt, wie sehr Noel Gallagher sein Handwerk verstanden hat. Aber nicht nur augenfällige Rückgriffe auf die eigene musikalische Vergangenheit zeigt Noel auf seinem zweiten Soloalbum – The Mexican ist eindeutig am dreckigen Gitarrenrock von Black Rebel Motorcycle Club angelehnt. Außerdem, so verlautbart Noel selbst in einem Interview, finde er ganz viel von T. Rex und sogar den Queens Of The Stone Age auf seinem Album wieder (na, was würde Josh dazu wohl sagen!). Eine weitere interessante Geschichte: Lock All The Doors beruht eigentlich auf einem mittlerweile schon 23 Jahre alten Fragment, aus dem Noel 1996 schon den Durchbruchhit der Chemical Brothers, Setting Sun schneiderte. Chasing Yesterday ist also wohl auch ein inhaltlich tonangebend und nicht nur ein Albumtitel, selbst wenn Noel bezichtigt, er fände ihn selbst miserabel. Er hätte einfach schnell einen Namen gebraucht.

Here’s part 2 of fan David Mihalyi’s interview with Noel where he asks about his strong opinions & favourite insults! http://t.co/djDtiojppa

— Noel Gallagher (@NoelGallagher) 10. März 2015

Nevertheless: Noel ist just lange schon und immer noch der Big Boss im Indierock-Business. Mit diesem zweiten Album springt er eine Spur weiter als mit seinem Solodebüt, das sich noch sehr straight auf Hitproduktion – auf höchsten Niveau versteht sich – konzentriert hat. Zusatzspielereien wie Saxophon, Glocken oder besagte Jazz-Elemente mischen das auf, was sonst schlichtweg „Britpop“ gewesen wäre. Das schöne an einem neuen Album von Noel Gallagher und seinen High Flying Birds ist, dass wir eigentlich schon in dem Moment glücklich strahlen können, in dem wir es in Händen halten. Dazu muss es noch nicht einmal auf ever repeat im CD-Laufwerk liegen. Einer Tatsache kann man sich nämlich sicher sein: Noel liefert einfach immer ab. Like a boss.

Noel Gallagher – Chasing Yesterday, Sour Mash/Indigo, www.noelgallagher.com




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