Remember Me
Viel zu selten werden Videospieler heutzutage in eine europäisierte Version der Zukunft versetzt, noch spärlicher sind dabei Cyberpunk-Visionen gesät. Remember Me schafft hierbei nun Abhilfe. Das kleine französische Entwicklerstudio Dontnod Entertainment wagt mit seinem Debüttitel nicht nur einen faszinierenden Ausblick in eine düstere Zukunft, sondern versucht tatsächlich, das mittlerweile eher mit Innovationslosigkeit behaftete Genre des Action-Adventures mit einige interessanten Ideen aus seinem Wachkoma aufzurütteln und seiner Betitelung dadurch gerecht zu werden.
Das Jahr ist 2084: In einem durch drastische Gegensätze geteiltem Neo-Paris ist die Modifikation von Menschen längst zum Alltag geworden. Nahezu jeder Einwohner trägt eine künstliche Speichereinheit namens “Sensen” (kurz für “Sensation Engine”) als Implantat im Nacken, die es erlaubt, jede gespeicherte Erinnerung und jeden Gedanken verlustfrei abzurufen – oder negative Erlebnis komplett auszublenden. Hauptverantwortlich für diese Art der Gedankenkontrolle zeichnet die mit einer Monopolstellung ausgestattete Firma “Memorize”, deren Einfluss dadurch auch weit über wirtschaftliche Interessen hinaus geht – Vergleiche mit Orwells 1984, Huxleys Brave New World und auch der Tyrell Corporation aus Ridley Scotts Blade Runner liegen dabei offensichtlich auf der Hand.
Doch die steril glitzernde Oberfläche bietet (natürlich) auch seine Schattenseiten, was zur Folge hat, das sich eine Widerstandsbewegung, deren Mitglieder sich “Erroisten” nennen, gruppiert hat, um den durch Memorize etablierten Überwachungsstaat samt gravierender Upper-Lower-Class-Schere in die Knie zu zwingen. Kurz vor einer vollständigen Auslösung aller Erinnerungen hackt sich der enigmatische Anführer der Rebellen, Edge, in das Gedächtnis der jungen Erroistin Nilin, verhilft ihr zur Flucht aus einem Hochsicherheitsgefängnis und führt sie – und in weiterer Folge auch den Spieler, der die Steuerung der Protagonistin übernimmt – Schritt für Schritt zur Wahrheit, die hinter dem gesamten System steckt.
Und so wird der Spieler auch recht effektiv in die Welt von Remember Me versetzt: Als wehrhafte, von Amnesie geplagte und erfrischenderweise nicht übersexualisierte Hauptfigur macht Nilin zunächst Eindruck. Dies liegt vor allem am ungewöhnlichen Kampfsystem, welches die Entwickler dem Titel spendiert haben. Ein Kombosystem, in dem sich der Spieler mittels verschiedener Elemente seine Kombinationsattacken selbstständig zusammenstellen kann, weckt dabei Interesse: Kampfmanöver, die sogenannte “Pressen”, sind in vier Kategorien unterteilt (“Regen” für Heilung, “Power” für Schaden, “Chain” für die Verlinkung bzw. Verstärkung andererer Pressen und “Cooldown” für schnellere Aufladung der “S-Pressen” genannten Supermoves), die dann nach deren Freischaltung in Komboketten eingesetzt werden können.
Zur Erklärung: Will man mit den ersten Angriffsbewegungen vorwiegend Schaden anrichten und erst zum Abschluss Lebensenergie regenerieren, so setzt man die entsprechenden Pressen (Zuerst Power, dann Regen) – will man eher schneller einen Supermove erneut ausführen, nutzt mehr vermehrt “Cooldown”. So interessant und vielleicht auch verwirrend das System auf den ersten Blick auch wirken mag, so schnell stoßt der Spieler an dessen Grenzen: Mit nur zwei Knöpfen (Viereck resp. Dreieck, auf der PS3) und einer Handvoll befüllbarer Kombos werden die Kämpfe schnell etwas monoton; trotz Nilins Agilität in den Scharmützeln, die ein wenig an Batman: Arkham Asylum / Arkham City erinnert, ringt man auch nach mehreren Stunden mit einer bockigen Kameraführung und frustvoller Repetition.
Auch der Levelaufbau scheint nicht die große Stärke der Entwickler gewesen zu sein, wechseln sich doch Laufwege in den schlauchförmigen Gebieten mit regelmäßiger Häufigkeit fast ausschließlich mit in größeren (und dadurch leicht im Vorhinein ersichtlichen) Arealen ausgelegten Kampfeinlagen sowie Kletterpartien im besten Uncharted-Stil. Über schmale Fenstervorsprünge, Regenrinnen oder wenig vertrauenserweckende Remisen springt und hangelt der Spieler auf Knopfdruck ohne viel erforderliches Geschick, dank dem einen oder anderen Puzzle wird allerdings etwas Abwechslung geboten.
Die große Stärke von Remember Me ist zweifelsohne optischer Natur: Eindrucksvolle Umgebungsgrafiken versetzen den Spieler in eine recht glaubwürdige Spielwelt, deren schmutziger Sci-Fi-Look wechselsweise an Blade Runner, Minority Report, Babylon A.D. oder auch Total Recall erinnert, dennoch seinen eigenen Stempel auf das Gesamtprodukt zu drücken vermag. Kleine Details wie etwa virtuelle Speisekarten, die sich bei einer Annährung an ein Bistro öffnen oder auch ein verzerrt-brüllendes Gesicht im Stil einer Computeranimation, das die Gefühlslage eines riesenhaften Mechs kurz vor dessen Angriff wiederspiegelt, verblüfft zunächst. Schade allerdings, das oftmals das Gefühl einer Kulisse entsteht, denn ein Großteil der Welt von Remember Me ist unbewohnt bzw. nur vereinzelt von Androiden mit singulären Tätigkeiten wie Staubwischen oder Herumsitzen besiedelt.
Das vermutlich interessanteste Feature des Titels stellt das Remixen von Erinnerungen dar: Hierbei muss Nilin, die ja Story-bedingt überaus begabt auf diesem Gebiet ist, die Erinnerungen einzelner Zielpersonen manuell so verändern, das durch die Gedächtnismanipulation im besten Inception-Stil ein neues Verhalten ausgelöst werden soll. Im Spiel wird dies mittels einer vor- und zurückspulbaren Zwischensequenz umgesetzt, bei der einzelne Objekte – wie etwa eine umfallende Glasflasche oder ein Sicherungsschalter auf einer Pistole – so manipuliert werden können, das sich der Verlauf der Szene komplett ändert und mittels Trial-and-Error-Prinzip der gewünschte Vorgang hergestellt wird. Sowohl die Idee als auch die Umsetzung des Prozederes gefällt – das es jedoch nur viermal zum Einsatz kommt, löst Stirnrunzeln aus.
So bleibt Remember Me eine hübsche Oberfläche mit vereinzelt auftretenden guten Ideen und interessanter Prämisse, die jedoch aufgrund mangelndem Tiefgang bei der Story, den eindimensionalen Charakteren, dem repetitiven Gameplay und dem Leveldesign schnell ihre weniger anziehende Seite offenbart. Das Gefühl eines übermäßig cineastischen Abenteuers in einer ungewöhnlichen Sci-Fi-Welt vergeht leider allzu schnell, was angesichts der teils spektakulären technischen Umsetzung doch etwas schmerzt. Wer die Mängel im Verlauf der knapp zehn Stunden Spielzeit ertragen oder ausblenden kann, wird aber sicher die eine oder andere nette Überraschung erleben.
Plattform: PS3 (Version getestet), Xbox 360, PC, Spieler: 1, Altersfreigabe (PEGI): 16, Release: 07.06.2013, www.remembermegame.com