Edge of Sanity
Liebe Filmfreunde auf der Suche nach dem abseitigen Film, herzlich willkommen zurück bei Wonne aus der Tonne. Heute begeben wir uns tief in die sündigen und lasterhaften Abgründe der menschlichen Seele. So mancher Schauspieler hat es geschafft, im Laufe seiner Karriere, dem Wahnsinn ein Gesicht zu verleihen. Doch kaum einer konnte das derart intensiv wie Anthony Perkins. Der Mime wird natürlich auf ewig als Norman Bates mit der Filmgeschichte verknüpft sein. Doch so manch anderer Auftritt, zeigt was sonst noch so in ihm steckte. Besonders beachtlich ist etwa die vorliegende Performance in Edge of Sanity …
England im 19. Jahrhundert: Der Wissenschaftler und Arzt Dr. Jekyll (Anthony Perkins) experimentiert an sich selbst mit allerlei narkotisierenden Substanzen. Durch eine Mischung aus Kokain und weiß-der-Geier-was-noch verwandelt sich der gutmütige Jekyll in den sexuell-aggressiven Mr. Jack Hyde. Jack geht auf die nebligen Straßen Londons, taucht in die Rotlichtszene ein und schlitzt so manche Frauenkehle auf.
Edge of Sanity aus dem Jahre 1989 verbindet die Erzählung Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde von Robert Louis Stevenson, mit der Legende um den Frauenmörder Jack the Ripper. Inszeniert wurde der Streifen vom französischen, ehemaligen Porno-Regisseur, Gérard Kikoïne. Man merkt der Inszenierung die Lust an der Erotik und der Grenzüberschreitung stark an. Anthony Perkins spielt völlig entfesselt, am titelgebenden Rande des Wahnsinns entlang. Der Schauspieler muss ungefähr zu Drehzeiten von seiner HIV-Erkrankung erfahren haben, die ihn wenige Zeit später das Leben gekostet hat. Er legt seine Rolle(n) tatsächlich so an, als hätte er nichts mehr zu verlieren.
Die Inszenierung ist reichlich schräg – im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn Hyde loslegt, hält die Kamera das Geschehen in einem schrägen Winkel (von oben, unten, oder von der Seite) fest. Die Bilder sind in Neonfarben getaucht, wir befinden uns ja filmisch in den 80er Jahren. Ein Stilmittel, dass sich auch in den Kostümen und der Maske niederschlägt. Denn die Figuren in Edge of Sanity tragen einen schrägen Mix aus historischer Ausstattung und klassischen 80er-Jahre-Merkmalen wie Schulterpolster oder auftoupierten Haaren. Das gibt dem Film einen ganz eigenen, surrealen Look, vergleichbar vielleicht mit Walter Hills Streets of Fire. Die Produktionskosten dürften entweder recht hoch gewesen sein – oder man hat zumindest das Maximum aus ihnen heraus geholt. Denn der Film sieht definitiv gut aus.
In den Gewaltszenen wird ebenfalls kräftig auf die Tube gedrückt. Der Film ist schundig und schmierig ohne Ende, mit voller Absicht und ohne Kompromisse. Für Fans dieser Ausrichtung ein definitives Highlight, dessen (Wieder-)Entdeckung lohnt. Der Film kam damals durchwachsen an. Manche erkannten ein trashiges Meisterwerk in ihm, andere wendeten sich angeekelt ab. Die Zeit hat Edge of Sanity jedenfalls gutgetan, denn er wirkt selbst für heutige Verhältnisse noch frisch, heftig und poppig. Regisseur Gérard Kikoïne, der seine Karriere kurz danach beendete, gibt an, vom deutsch-expressionistischen Film beeinflusst gewesen zu sein. Kippt da nochmal grellen Neon und einen dauerschwitzenden und hechelnden Anthony Perkins drauf – dann seid ihr da!
Der Film kam soeben in einer hübsch restaurierten Mediabook-Version von Wicked Vision heraus. Zugreifen, solange der Vorrat reicht. Wahrlich ein Film, der in keiner Horror-Sammlung fehlen sollte.
In diesem Sinne: Finger weg von den Drogen und bleibt seltsam!
Split – Edge of Sanity
OT: Edge of Sanity, Frankreich, GB, USA, Ungarn, 1989, Regie: Gérard Kikoïne, Drehbuch: J.P. Félix, Ron Raley, Mit: Anthony Perkins, Glynis Barber, Sarah Maur Thorp, u.a.
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