Die Hosen der Toten
Trainspotting schlug Anfang der 90er Jahre wie ein Komet in die Literaturszene ein. Schon lange nicht mehr hatte ein Roman aus dem literarischen Untergrund solche Wellen schlagen können. Der Debütroman von Irvine Welsh genoss spätestens durch die Verfilmung von Danny Boyle 1996 internationalen Kultstatus, und löste damit eine Debatte über die Glorifizierung von Drogen in der Popkultur aus. Welsh veröffentlichte davon ungerührt in solider Regelmäßigkeit weitere Romane und baute so sein Oeuvre konstant aus. Bemerkenswert an Welshs Werk ist dessen Intertextualität. Die Romanfiguren von Trainspotting tauchten in Welshs späteren Romanen und Erzählungen mal als Nebenfiguren, dann wieder als Hauptprotagonisten auf. Genauso werden Hauptfiguren aus anderen Romanen als Nebenfiguren in folgenden Werken benutzt, etc. Dadurch entsteht der Eindruck eines eigenen literarischen Kosmos in dem diese Figuren wirklich leben.
Mit Die Hosen der Toten liegt nun Irvine Welshs neuester Streich vor. Seit ein paar Jahren wechselten die deutschen Veröffentlichungsrechte hier von Kiepenheuer & Witsch zu Heyne, die diese Romane in schöner Aufmachung in ihrer Hardcore-Reihe präsentieren. Welshs typischer schottischer Slang, den er im Original phonetisch aufschreibt, lässt sich in einer deutschen Übersetzung nur bedingt wiedergeben und führt dazu, dass viele Dialoge in einen norddeutschen Duktus übertragen wurden. Hat man sich daran mal gewöhnt, sollte dem Lesevergnügen jedoch nichts mehr im Wege stehen.
Und darum geht’s in Die Hosen der Toten: Die Jungs aus Trainspotting (und Porno und Skagboys) sind wieder zusammen in einem Roman. Mark Renton trifft in einem Flugzeug auf seinen alten Kumpel Frank Begbie, den er vor Jahren übel abgezogen hat – und sich seitdem vor dessen Rache fürchtet. Der ehemalige Psychopath Begbie scheint indes inzwischen geläutert und reüssiert als gefragter bildender Künstler in Los Angeles. Anstatt Rache gibt es also erst mal wieder Verbrüderung zwischen den Männern. Nachdem diese Hürde genommen ist, braucht es nicht mehr viel um auch den Rest der Bande erneut zusammenzuführen. Simon Williamson alias Sick Boy betreibt einstweilen ein Escort-Service, während Spud Murphy inzwischen buchstäblich auf der Straße hockt. Als letzterem ein Job als geheimer Transporteur einer menschlichen Niere angeboten wird, nimmt der Irrsinn seinen Lauf.
Die Hosen der Toten wird als „das große Finale von Trainspotting“ beworben. Ob dies wirklich der letzte Roman ist, den Welsh mit seinen beliebten Figuren veröffentlichen wird, bleibt abzuwarten. Fakt ist jedoch, dass sich nach den Geschehnissen in diesem Buch, die Lage für die Jungs gravierend verändert hat. Jemand, der noch keinen Roman von Welsh gelesen hat, kann man Die Hosen der Toten kaum empfehlen. Zu viel Vorwissen wird vorausgesetzt, und dies nicht nur durch die „offiziellen“ Trainspotting-Romane, sondern auch stark durch das Wissen um die Geschehnisse aus Welshs vorletztem Roman Kurzer Abstecher. Jener erzählt u.a. von Frank Begbies Wandlung vom Voll-Psycho zum angesehenen Künstler Jim Francis. Und das Ende von Kurzer Abstecher ist gleichzeitig der nahtlose Beginn von Die Hosen der Toten. Es sind Kunstgriffe wie dieser, die Welshs Bücher so sympathisch machen. Die große Frage, die sich natürlich viele nun vor der Lektüre stellen: Ist dieser Roman so gut, wie die vorherigen? Und diese Frage kann man in vollem Umfang mit JA! beantworten. Der neue Roman ist genauso gut oder auch schlecht (je nach Standpunkt und Gemütsverfassung), wie die meisten Bücher Irvine Welshs. Es gibt humorvolle Passagen, ultra grausliche Passagen, ultra blöde Passagen und eben auch sehr schöne Stellen, die vom großen Einfühlungsvermögen und der Menschenkenntnis Welshs zeugen. Nach beinahe 500 Seiten entlässt einen der Roman jedenfalls in einer Hochstimmung und eigentlich würde man sich doch freuen, wenn dies nicht der letzte Besuch zu den Leith-Jungs war. Man wird sehen. Der berühmte Choose Life-Monolog von Renton hört sich am Ende von Die Hosen der Toten jedenfalls so an:
Ich muss an Sick Boys Worte denken. Dass wir uns entscheiden müssen, ob wir Wichser oder Idioten sein wollen, und niemand will ein Idiot sein. Mir gehen tausend Dinge durch den Kopf. Mag sein, dass es bei Sühne und Wiedergutmachung vor allem darum geht, das Richtige zu tun. Aber für wen? Was tue ich also? Was würden Sie tun?
Also, was würden wir tun? Wir würden empfehlen sich dem Oeuvre von Irvine Welsh zu widmen. Zumindest in weiten Teilen. Und wünschen gute Unterhaltung!
Die Hosen der Toten von Irvine Welsh, 480 Seiten, erschienen im Heyne Verlag.