Ich fühl’s nicht
Leonardo DiCaprio datet seit Jahren immer gleich alt bleibende und optisch ziemlich ähnliche Frauen. Doch die wahre Liebe ist scheinbar nie dabei. Was läuft da schief? Mit dieser und noch weiteren Fragen zur zwischenmenschlichen Beziehung beschäftigt sich Ich fühl’s nicht von Liv Strömquist.
Die schwedische Autorin und Comiczeichnerin ist seit einigen Jahren in der Graphic Novel-Szene der heißeste Scheiß überhaupt. Sie studierte Politikwissenschaft und moderiert u.a. eine Radiosendung in ihrer Heimat. In ihren Comics beschäftigt sie sich meist assoziativ mit gesellschaftspolitischen Themen. Ihr Werk über die Geschichte der Vulva und der Tabuisierung der Menstruation in der Gesellschaft mit dem schönen Titel Der Ursprung der Welt wurde zu einem unerwarteten Bestseller. Liv Strömquist geht dabei angenehm unverkrampft, offen und humorvoll vor. Zuletzt erschien im deutschsprachigen Raum I’m every Woman. Hier reflektiert sie anhand Kurzbiografien von Frauen berühmter Männer deren Einfluss auf das Schaffen ihrer Göttergatten. Teilweise so lustig, dass es weh tut.
Ein Credo, dass auch auf ihr neuestes Werk Ich fühl’s nicht zutrifft, erschienen Anfang März beim Berliner avant-verlag. Hier widmet sich Strömquist dem universellen Thema der Paarbeziehung und der aufrichtigen, tief empfundenen Liebe. Sie folgt dabei der These des deutsch-koreanischen Philosophen Byung-Chul Han, dass in unserer narzisstischen und kapitalistischen Gesellschaft die Eigenliebe (zB. ein geiles Selfie machen) einen höheren Stellenwert hätte, als die Liebe zum Anderen (zB. ein geiles Foto vom Partner zu machen). Und dass der heutige Wunsch nach Partnerschaftlichkeit sehr oft unserem Konsumdenken gleicht (zB. Tinder, Dating-Portale, etc.). Darauf aufbauend spinnt Liv Strömquist einen bunten Reigen aus kulturhistorischen Anekdoten – von griechischer Mythologie bis abrisshaften Künstlerinnenbiografien – und philosophisch unterfütterten Betrachtungen. Das ist mitunter zugegebenermaßen manchmal auch anstrengend – dabei aber immer erhellend und mit einem ungekünstelten Blick auf das menschliche Grundbedürfnis Liebe. Dass dies meistens daran scheitert, dass die wenigsten bereit sind Liebe zu geben, bevor sie jene empfangen, ist dabei eine ebenso klare wie schlüssige Einsicht, die in humorvollen Panels eingefasst wird. Doch es geht auch durchaus tiefgründiger als das. Alles in allem ist Ich fühl’s nicht eine höchst nachdenklich stimmende und anregende Lektüre.
Der schwedische Originaltitel lautet Den rödaste rosen slår ut, was die englische Übersetzung getreu mit The redest rose unfolds wiedergibt. Auch wenn sich der Originaltitel in einer Episode des Buches einlöst, muss man der deutschen Übersetzung zum Titel Ich fühl’s nicht nochmal ein extra dickes Lob aussprechen. Das trifft den Kern der Sache punktgenau. Die Lektüre lohnt sich – wie eigentlich jedes Werk von Liv Strömquist – und ist ein besonders geeignetes Geschenk für Menschen, die immer noch meinen, dass Comics leichte und kindliche Unterhaltung ohne jede gesellschaftliche Relevanz darstellen. Das werden zum Glück immer weniger, aber sie sind noch da. Lasst sie uns bekehren. Mit Werken wie denen von Liv Strömquist wird man jedenfalls intellektuell und visuell bestens bedient.
Ich fühl’s nicht von Liv Strömquist, erschienen im avant-verlag.