Uncle Howard
Mit Burroughs: The Movie schuf der Dokumentarfilmer Howard Brookner 1983 ein intensives Porträt der damals 69-jährigen literarischen Ikone und setzte der Beat-Generation ein Denkmal. Sein Neffe Aaron Brookner tut 33 Jahre das gleiche für den früh an AIDS verstorbenen Regisseur. Uncle Howard lässt den Zuschauer unmittelbar an einem vor Kreativität sprühenden Leben teilhaben und mit ihm an einer enigmatischen kulturellen Ära des Wandels.
Am Anfang des außergewöhnlichen Filmvorhabens stand der Tod des Titelprotagonisten im Jahr 1989. Mit nur 34 Jahren hatte sich Howard Brookner als ein schillernder Chronist der chaotischen New Yorker Künstlerszene der 70er und 80er etabliert. Seine intensive Studie des Theaterregisseurs Robert Wilson, der im Begriff war eine 12-stündige multinationale Operninszenierung zu realisieren, sowie sein Film Bloodhounds of Broadway beeindrucken nicht nur durch seine Nähe zu prominenten Darstellern und junge Talente der Schauspielszene wie Matt Dillon, Jennifer Grey und Madonna. Vor allem ist er wie viele dokumentarische Werke Brookners eine cineastische Zeitmaschine.
Er versetzt den Zuschauer zurück in seine Heimatstadt New York und an den Puls der Zeit. Auch Aaron war dabei und fasziniert von der Arbeit des Onkels. Zum Zeitpunkt von dessen Tod war Aaron erst sieben Jahre alt. Er erinnert sich an Onkel Howard als den witzigen und coolen Insider, der jeden Schauspieler, Musiker und Schriftsteller persönlich zu kennen schien, und mit seinem Neffen aufregende Ausflüge unternahm. Aber er erinnert sich auch an Howard auf dem Krankenbett der AIDS-Station, kurz vor dessen frühem Tod. Das filmische Erbe anzuschauen, als Howard selbst nicht mehr da war, wurde für Aaron Brookner mehr als ein Mittel zur Verarbeitung. Es war seine Inspiration auf dem eigenen Weg zum Filmemacher.
Das Lebenswerk des Protagonisten, an dessen Seite der Kinozuschauer die wilden New Yorker Jahre miterlebt, drohten unterdessen die Mühlen der Zeit zu zermahlen. Diese Erkenntnis veranlasste Aaron zu einer Kickstarter-Kampagne mit dem Ziel, eine restaurierte Version von Burroughs: The Movie heraus zu geben. Die Suche nach einer Filmkopie war mühsam, aber sie hat sich gelohnt. 2012 kam die digitalisierte Fassung von Howards Burroughs-Portrait heraus. Die Recherche förderte zudem einen Schatz an Zeitdokumenten ans Tageslicht. Auf jeder der zahlreichen Stationen seines künstlerischen Lebenswegs hinterließ Howard Bild- und Filmdokumente.
Es sind Mosaiksteine, die nur darauf warteten, zu einem großen Ganzen zusammengesetzt zu werden. Jedes Puzzleteil, das Aaron aufspürte, sammelte, archivierte und sortierte er. Seine eigene Dokumentation lebt durch diese visuellen Reminder: Behind-the-Scenes-Aufnahmen, Notizen, Kurzfilme, Videotagebücher, Tonaufnahmen, zahllose Fotos … Eine der schwierigsten Aufgaben bei der Arbeit an Uncle Howard war wohl die Auswahl aus der riesigen Materialfülle. Doch irgendwie ist sie gelungen. Die Schätze aus dem Archiv werden ergänzt durch Interviews mit Howards Freunden, Weggefährten und Kollegen. Unter anderem kommen Jim Jarmusch, Howards langjähriger Partner Brad Gooch, Sara Driver, James Grauerholz und Tom DiCillo zu Wort.
Die Liste an Namen ist fast so eindrucksvoll wie die Liste an Dokumenten. Doch Aaron Brookners cineastische Kollage überwältigt nicht einfach durch die schiere Masse. Das packende Menschen- und Zeitbild überzeugt durch seinen Charme und den auf einmalige Weise eingefangenen Geist einer Ära, deren Umbrüche bis heute nachwirken.
Regie und Drehbuch: Aaron Brookner, Mit: Madonna, Jim Jarmusch, Andy Warhol, William S. Burroughs, Allen Ginsberg, Filmlänge: 96 Minuten, gezeigt auf der Berlinale 2016, unclehowardfilm.com