Das weisse Band
Zurückgekehrt aus der trügerischen Idylle der amerikanischen Hausbesitzer (Funny Games US) widmet sich der österreichische Regisseur Michael Haneke abermals einem Szenario, welches beinahe schon synonym mit seinem Namen verwachsen zu sein scheint.
Das weisse Band, vielsagend hinsichtlich seiner eigentlichen Handlung und mit trockener Ironie als „deutsche Kindergeschichte“ untertitelt, versetzt das Publikum erneut in die Position des Betrachters einer vermeintlichen Harmonie, die durch ebenso plötzliche wie auch folgenschwere Ereignisse in ihrer plakativen Darstellung als rein illusorisch entlarvt wird.
Angst, Gewalt und Bestrafung sind zentrale Merkmale in Hanekes Filmen, wobei sein neuestes Werk die Vorangegangenen in vielerlei Hinsicht überflügelt. Sein mittlerweile dritter Beitrag im Wettbewerb der renommierten Filmfestspiele von Cannes (nach Die Klavierspielerin und Caché) wurde bereits mit der goldenen Palme honoriert und startet nun auch als Kandidat für den Oscar in der Kategorie des besten fremdsprachigen Films bei den kommenden Academy Awards. In einem Dorf im protestantischen Norden Deutschlands, kurz vor Beginn des ersten Weltkriegs, häufen sich mysteriöse Unfälle, die offenbar willkürlich alle gesellschaftlichen Schichten der Gemeinde betreffen und dabei in jenem ländlich-klerikalen Mikrokosmos Misstrauen sät. Als nach kurzer Zeit eine zufällige Abfolge von Ereignissen ausgeschlossen werden kann, beginnt die Suche nach den Schuldigen, den Verursachern jener Unglücksfälle, die in weiterer Folge als rituelle Bestrafungen für Fehlverhalten entlarvt werden.
Der Zuseher wird über einen Erzähler in die nüchterne sowie scheinbar isolierte Dorfgemeinschaft eingeführt, wobei Christian Friedel als vergleichsweise zurückhaltender Lehrer den zentralen Dreh- und Angelpunkt der Geschichte darstellt. Um die Bewahrung von Anstand und Ordnung sind neben dem in der Gemeinde hoch angesehenen Gutsherrn bzw. Baron (Ulrich Tukur) auch der örtliche Pfarrer (Burghart Klaussner) sowie der Gutsverwalter (Josef Bierbichler) bemüht, wobei schnell das grundlegende Problem aufgezeigt wird, welches im historischen Kontext jedoch nicht als solches aufzuzeigen ist: eine in heutigen Zeiten fast undenkbare autoritäre Erziehung und Bevormundung, die auf die jeweiligen Stände ausgeweitet ein Sittenbild aufzeigt, das generationenübergreifend agiert. So werden die gegen die Moral verstoßenden Kinder mit einem für jedermann ersichtlichen weissen Band gekennzeichnet; Ehrfurcht und Demut, aber auch Neid und Böswilligkeit gegenüber den übergeordneten Instanzen in der Gemeinde mit Bedacht gepflogen; zwischenmenschliche Beziehungen durch elterlichen Einfluss unterdrückt und die Verzweiflung angesichts unveränderbarer gesellschaftlicher Konventionen geschürt.
Mittels der die Szenerie optisch perfekt untermalenden und zugleich auf die teils verklärte Gut-Böse-Sichtweise der Dorfbewohner verweisenden Schwarz-Weiß-Bilder inszeniert Autorenfilmer Haneke ein Gleichnis auf die Auswirkungen bzw. Möglichkeiten der Verblendung eines autoritären Gefüges, welches mit seinem offenen Ende den Zuseher über dessen weiterführende ideologische Ausläufer sowie der im Gesamtkontext sinnlosen Suchen nach einem Sündenbock zum nachdenken bringen soll.
Regie: Michael Haneke, Drehbuch: Michael Haneke, Darsteller: Christian Friedel, Leonie Benesch, Ulrich Tukur, Burghart Klaussner, Josef Bierbichler, Filmstart: 24.09.2009, Laufzeit: 144 Minuten