Paradies: Hoffnung
Nun ist sie abgeschlossen! Mit Paradies: Hoffnung kommt der letzte Teil der Paradies-Trilogie von Ulrich Seidl in die Kinos. Während Liebe (zur Kritik) und Glaube (zur Kritik) ihre Schattenseiten zeigten, enthält der dritte Teil doch tatsächlich einen Funken Hoffnung. Kann das sein? Nicht wirklich …
Protagonistin und Hoffnungsträgerin ist Melanie (Melanie Lenz), die, während ihre Mutter Teresa in Kenia urlaubt, in einem Diätcamp von einem Fitnesstrainer (Michael Thomas) und einer Ernährungsberaterin (Vivian Bartsch) zum Abnehmen gequält wird. Das Camp befindet sich in einem abgelegenen, sommerferienverlassenen Schulheim, das von einem Arzt (Joseph Lorenz) geleitet wird. In diesen, etwa 40 Jahre älteren Mann verliebt sich die 13-jährige Melanie.
Das Geschehen wirkt zurückhaltend – angesichts dessen, was vergangene und gegenwärtige Aufregungen und Berichterstattungen zu Seidls Filmen hätten erwarten lassen. Dass der Regisseur einen Film, in dem Jugendliche die Hauptrolle spielen, nicht zum Skandal macht, liest sich mancherorts fast wie Enttäuschung. Dieser Teil ist anders als seine Vorgänger, enthält ungewohnt zärtliche, weniger schmerzvolle Töne und Bilder. Das ist noch kein Kritikpunkt. Trotzdem gibt es an Paradies: Hoffnung etwas, das man Seidl fast übelnehmen könnte: Er erzählt uns ein Märchen.
Wenn Authentizität etwas jenseits der Repräsentation ist, dann trifft das durchaus auch auf den dritten Teil zu. Melanie ist ein übergewichtiges Mädchen. Sie fällt aus der Norm und befindet sich im Diätcamp in einer nicht alltäglichen Situation. Diese ist jedoch nicht nur überzeichnet, sondern verfälscht dargestellt. Das dokumentarische Umfeld ist keines. Besonders das Sklaventreibergebaren des Fitnesstrainers würde sich gut in einem Erziehungscamp machen. Michael Thomas gelingt auch nicht jede Szene.
Die Erschütterung der scheinbaren Realität sowohl der Zuschauer, als auch der dargestellten Figuren, spielt kaum eine Rolle. Während die Protagonistinnen der ersten beiden Teile gegen Wände laufen, sie wirken, als hätten sie sich in ihrem Leben verrannt, ist das, was Melanie erlebt, nicht mehr als eine Episode in ihrem Leben. Ihre Erfahrung ist in dem Sinne nicht erschütternd, weil eine unglückliche Liebe etwas ist, das zum Erwachsenwerden, zum Leben dazugehört. Das Objekt an sich ist austauschbar. Man weiß, sie wird sich bald wieder verlieben. Hoffnung gibt es nur, solange man jung ist.
Ja, der Herr Doktor ist vierzig Jahre älter als das Mädchen. Aber das Entscheidende ist, dass er Melanies Liebe in ebenso zurückhaltender Art und Weise zu erwidern beginnt, wie es eine poetische, oder sagen wir kindliche Liebe verdient. Melanie versucht, den Mann zu verführen und er lässt es zu, bis er sie abweist. Das Wort Naivität trifft es wohl, und darin gleicht sie ihrer Mutter, die im Sexurlaub allen Ernstes nach Liebe sucht. Die Realität macht die Hoffnung zunichte. Hoffnung ist Fiktion.
Melanie Lenz, die damals tatsächlich erst 13 Jahre alt war, spielt ihre Rolle natürlich und überzeugend. Die Performance der Jugendlichen ist generell stärker, als die der Erwachsenen. Tanzen und Flaschendrehen: Sehr schön, wie in diesen Szenen die Kamera zu verschwinden scheint! Dass zwischen Melanie und Joseph Lorenz auch Distanz spürbar wird, gibt den Begegnungen eine Befangenheit, die einerseits der Situation entspricht, andererseits jedoch das Durchscheinen von Begehren vermissen lässt. Es ist eben keine Lolita-Geschichte. Das Fehlen von Radikalität wirkt tatsächlich irritierend. Mit Jugendlichen zu drehen bedeutet, gewisse Grenzen nicht zu überschreiten. Und doch mutet es seltsam an, dass sich Seidl wegen des gesellschaftlichen „Du darfst nicht“ zurückgehalten hätte. Eine Szene, in der Melanie in der Disko beinahe vergewaltigt wird, zeigt, dass es auch anders geht. Die gesellschaftliche Konvention wird zum Widerspruch, die einerseits Melanie beschützt und andererseits die Hoffnung zunichte macht.
Ein weiterer Aspekt von Authentizität besteht in einer Form des Vertrauens zwischen Zuschauer und Regisseur. Während wir uns das Märchen ansehen und nicht ganz klug daraus werden, stellt sich das unangenehme Gefühl ein, getäuscht zu werden. Hoffnung findet man nur, wenn man sich selbst und anderen etwas vormacht. Wie gesagt, das nimmt man Ulrich Seidl schon etwas übel.
Übrigens: Nächste Woche bringen wir ein Interview mit Melanie Lenz, die uns erzählt hat, wie das war, mit Seidl, im Diätcamp und bei der Berlinale …
Regie: Ulrich Seidl, Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz, Darsteller: Melanie Lenz, Joseph Lorenz, Michael Thomas, Vivian Bartsch, Verena Lehbauer, Johanna Schmid, Laufzeit: 91 Minuten, Kinostart: 15.03.2013, www.paradies-trilogie.at