Und über allem der Hunger
Erik R. Andara lässt in Und über allem der Hunger den Schrecken langsam in den Alltag einsickern und liefert eine schaurig schöne Novelle ab.
Cosmin trifft sich mit Stefan, seinem Freund aus Kindheitstagen, am Schöpfwerk. Denn Cosmin ist auf eine neue intelligenzsteigernde Droge angewiesen, die es dort angeblich zu kaufen gibt. Cosmin und Stefan, geführt von Radu, der den Kontakt zum Dealer herstellen soll, betreten den Gebäudekomplex. Es dauert nicht lange und die unheimlichen Vorkommnisse häufen sich. Irgendwas existiert in diesem Bauwerk, das nicht von dieser Welt zu sein scheint. Ein Wesen oder eine Macht herrscht weit oben, viel weiter, als das weltliche Gebäude überhaupt reicht. Was immer es ist, Cosmin und Stefan könnten seine nächsten Opfer werden.
Inzwischen war das eindringliche Kreischen aus der Gegensprechanlage so laut geworden, dass die Hände über den Ohren so gut wie nichts mehr brachten. Cosmin spürte den fordernden Ton in seinen Schläfen vibrieren, in seinem Kiefer, seinen Backenzähnen. Als wäre der gesamte Hochhausturm ein einziger gigantischer Lautsprecher, der sie mit einer so gewaltigen Rückkoppelung überzog, dass er spüren konnte, wie sie ihn rückwärts schob.
Und über allem der Hunger von Erik R. Andara ist eine rasch erzählte, schaurige Geschichte über unbekannten Schrecken. Mit seinen knapp 70 Seiten kann man die Novelle perfekt auf einem Sitz lesen, am besten an einem regnerischen Tag. Atmosphärisch kann man Andara nichts vormachen, er versteht es den Leser zu packen und ihn in eine düstere, unheilvolle Welt zu ziehen. Es gibt zwar den ein oder anderen Lichtblick in Und über allem der Hunger, doch vorwiegend geht es Andara um die Erforschung finsterer Abgründe. Manche davon sind menschlichen Ursprungs, andere nicht, aber immer dienen sie auch als Spiegel der Missstände unserer Gesellschaft.
Wer andere Werke von Andara kennt, weiß, dass in seinen Geschichten stets ein soziales Anliegen mitschwingt. Nicht in Form einer aufs Auge gedrückten Message, sondern unterschwellig und hintergründig. So kann man auch Und über allem der Hunger zum einen als spannende, unheimliche Unterhaltung genießen und zum anderen als atmosphärische Metapher über Freundschaft, Vertrauen, Sucht, Einsamkeit und Zusammengehörigkeit. Es ist fast schade, dass die Novelle recht kurz ist, da man gerne mehr über das finstere Labyrinth am Schöpfwerk, in dem sich Cosmin und Stefan befinden, lesen würde. Allerdings ist Und über allem der Hunger auf seine prägnante und präzise Art ein wunderbar abgerundetes Kleinod des Makabren und Unheimlichen.
Und über allem der Hunger von Erik R. Andara, 70 Seiten, erschienen bei Nighttrain.