The Tall Man
Liebe seltsame Filmfans, soeben ist Halloween vorbei, doch wir wollen uns gerne weiter gruseln. Also ich zumindest. Obwohl bei dem diesmal vorgestellten Film durchaus angezweifelt werden darf, ob es sich hierbei überhaupt um einen Gruselfilm handelt. Doch alles der Reihe nach …
The Tall Man
OT: The Tall Man, Kanada, Frankreich, 2012, Regie und Drehbuch: Pascal Laugier, Mit: Jessica Biel, Jodelle Ferland, Stephan McHattie u.a.
Schauplatz ist die desolate Kleinstadt Cold Rock, der die Wirtschaftskrise schwer zugesetzt hat. Die Menschen, die hier noch leben, fristen ein trauriges Dasein zwischen Elend und Armut. Noch dazu verschwinden immer mehr Kinder aus der Gegend. Es geht das Schauermärchen vom „großen Mann“ um, der die Kinder geholt haben soll. In diesem Ort arbeitet auch die gutherzige Krankenschwester Julia (Jessica Biel). Nach einem anstrengenden Arbeitstag kehrt Julia nach Hause zum Jungen David und ihrer Nanny Christine. In derselben Nacht wird David entführt, doch Julia kann sich an die Fersen des Entführers heften. Doch wer ist der „große Mann“ tatsächlich? Und was hat er vor?
The Tall Man war der erste englischsprachige Film des französischen Autors und Regisseurs Pascal Laugier – und gleichzeitig der erste nach seinem Skandal-Schocker Martyrs von 2008. Gemein haben alle Filme Laugiers die überraschenden Wendungen, die die Handlung ab Mitte des Films vollziehen. Bei The Tall Man, gibt es derer sogar einige und so muss man wirklich bis zu den letzten Minuten des Films warten, bis das Geheimnis um den „großen Mann“ gelüftet wird. Die Auflösung ist überraschend und tragisch und lässt einen so schnell nicht mehr los.
Die Filme Laugiers sind heftige, intensive Seherfahrungen. Auch wenn kein anderer seiner Filme vor oder nach Martyrs drastische Gewaltdarstellung liefert (was wahrscheinlich auch gut so ist), sind sie immer beinahe schon physisch schmerzhafte Erfahrungen. Sie sind unangenehm, weil man immer weiß, dass das Schlimmste passieren kann (und wird). Und dennoch haben sie eine hypnotische Schönheit – die tollen Kamerafahrten, die betörend schönen Bilder – der man sich schwer entziehen kann. Dazu kommt, dass die Geschichten auf einem psychologisch gut durchdachten Fundament stehen. Manche Zuseher wird das überfordern, andere werden die vielen Abbiegungen in der Story als albern oder überkonstruiert abtun. Wenn ihr jedoch wie ich seid, dann werdet ihr fasziniert sein, überrascht, vielleicht ein wenig betrübt – aber in jedem Fall vom dringenden Wunsch beherrscht sein, das Gesehene bald noch einmal erleben zu wollen.
Die Geschichte bewegt sich zwischen Schauermärchen, Whodunit, und Psychodrama. Jessica Biel zeigt mal wieder, dass sie mehr als nur ein hübsches Gesicht ist. Und Pascal Laugier konnte mit diesem Film eindrucksvoll beweisen, dass er mehr als nur einen guten Film in sich hat. Im Gegensatz zu vielen anderen Regisseuren der damals „neuen harten Welle“ aus Frankreich, wie Alexandre Aja (High Tension) oder Maury & Bustillo (Inside), deren weitere Filme Kritiker wie Fans enttäuschten. Der Mann arbeitet zwar mit gemächlichem Tempo – eben erschien mit Ghostland sein erst vierter Film in 14 Jahren – dafür spricht der qualitative Output für sich. Die Filme mögen natürlich in Abstufung gut sein, jedoch sind sie immer interessant und stechen in der heutigen Horrorlandschaft sichtbar hervor. The Tall Man ist von seinem Gewaltlevel wohl der sanfteste Film Laugiers. Seine emotionale Heftigkeit ist dafür ein ziemlicher Volltreffer ins Herz.
Also: Geht nie mit Fremden mit und bleibt seltsam.