Die Einsamkeit als ständiger Begleiter Teil 1: Gravity is Lost
Einsame Helden sind schon lange Zeit fester Bestandteil der archetypischen Handlungsstruktur. Egal ob im Kampf gegen ihre Umgebung oder sich selbst, sie haben ihren fixen Platz im Pantheon der Filmgeschichte. Im letzten Kinojahr erfuhr jene Protagonisten-Figur so etwas wie eine Renaissance und gleichzeitig eine gesteigerte Reduktion auf sich selbst und das abgeschottete Umfeld, in dem er sich befindet. Gravity wirft Sandra Bullock ins Weltall, All is Lost lässt Robert Redford gegen das Meer ankämpfen und in Locke (lief bei uns unter dem passenderen Titel No Turning Back) muss Tom Hardy für seine persönlichen Fehler einstehen. Zeit sich diese drei Filme genauer zu betrachten und herauszufinden, wer von diesen drei Protagonisten nun tatsächlich die Einsamkeit als ihren ständigen Begleiter mit sich führt.
Den Anfang macht Alfonso Cuaróns Gravity, der schon vor dem Filmstart mit Lobpreisungen und Vergleichen zu Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum überhäuft wurde. Ein großer Kinoerfolg, positive Kritiken und zahlreiche Auszeichnungen (u.a. sieben Oscars) waren das Resultat. Bald danach änderte sich die allgemeine Stimmung gegenüber Cuaróns “Meisterwerk”. Allzu offensichtlich wurden – entweder durch erneute Sichtung oder zu hohen Erwartungen – die inhaltlichen Schwächen des Films, vor allem des Drehbuchs (geschrieben von Alfonso und Jonás Cuarón). Gerade an der zentralen Figur, der von Sandra Bullock dargestellten Ryan Stone, scheitert Gravity letztlich – was nicht unerheblich ist, bedenkt man, dass es sich dabei um ein Ein-Personen-Drama handeln soll. Einerseits wirkt ihre Vorgeschichte zu banal und oberflächlich, andererseits wurde die Etablierung jener Backstory viel zu plump umgesetzt.
Zusätzlich erscheint auch ihre gesamte Anwesenheit im Weltraum, aufgrund ihrer mangelnden Qualitfikationen, mehr als fragwürdig und zerstört dadurch auch jeglichen Sinn der Handlung – und in weiterer Folge ihrer Figur. Ähnlich wie Nolans Inception wird auch Gravity eine größere Komplexität zugestanden, als tatsächlich vorhanden. Was Nolan mittels komplizierter, konvoluter Handlung kaschiert, versteckt sich bei Gravity hinter einer beeindruckenden Technik und optischen Brillanz. Das muss man Cuaróns Film zugute halten: auf dem visuellen Bereich des Filmemachens versteht er sich und was die technischen Aspekte von Gravity betrifft, ist er über jeden Zweifel erhaben.
Es scheint jedoch so, dass es Cuarón ohnehin weniger um inhaltliche Schwerpunkte, sondern viel mehr um eine beeindruckende visuelle Bildsprache ging. Schon das Making Of beweist mit welchem Erfindungsreichtum und Aufwand Cuarón seine Geschichte in Szene setzen wollte. Zumindest in dieser Hinsicht ist ihm auch ein großer Wurf gelungen, denn was die optische Imposanz anbelangt, sind Gravity keine Vorwürfe zu machen. Es hätte dem fertigen Film allerdings auch nicht geschadet, wenn sie den gleichen Aufwand in das Drehbuch gesteckt hätten. Gerade bei einem Ein-Personen-Drama kommt man nicht umhin ein gut ausgeklügeltes Drehbuch zu haben. Die Kamera verzeiht nichts, heißt es – und im Falle von Ryan Stone, die alleine durch das Weltall treibt, fokussiert die Kamera den Blick des Zuschauers einzig und alleine auf ihr Schicksal.
Gravity ist spannend, keine Frage. Dank dem feindlichen, lebensbedrohlichen Umfeld, in dem sie sich befindet, wird sofort Spannung erzeugt. Jeder Zuschauer weiß gleich was auf dem Spiel steht, auch wenn es nicht zu den alltäglichen Erfahrungen eines durchschnittlichen Kinopublikums gehört. Doch entfernt man dieses Umfeld, was bleibt übrig? Ryan Stone – und da es sich hierbei um ein Ein-Personen-Drama handelt, in weiterer Folge auch Gravity selbst – ist eine mit plumpen Klischees beladene Person, deren Vorgeschichte in einer unoriginellen Exposition erzählt wird und die in keinem Moment des Films zu einer glaubwürdigen filmischen Figur heranreift. Gravity wäre genau so spannend gewesen, wenn Stone nicht alleine durch das Weltall driften würde, denn der Film erzeugt seine Spannung nicht aus seiner einzelnen Hauptfigur, sondern aus dem bedrohlichen Umfeld.
Doch Spannung nur durch eine äußere Situation zu generieren führt nicht zwangsläufig zu einem stimmigen Gesamtwerk (wie man spätestens seit den meisten Michael Bay-Filmen weiß!). Gravity zerbricht an seinem eigenen trügerischen Schein und Oberflächlichkeit, die zwar ein angenehmes (und zugegebenermaßen unterhaltsames) Blendwerk darstellt, aber keine nachhaltige Wirkung beim Publikum zeitigt. Um das zu erkennen braucht man sich nur über den Film unterhalten oder Gespräche darüber mitanhören. Worüber spricht man bei Gravity? Nicht über Ryan Stones Überlebenskampf im Weltall und was für düstere innere Dämonen sie dabei bekämpft hat, höchstens über ihr nervendes Stöhnen, ihre unsinnigen (Selbst)Gespräche und ihre vollkommene “Fehlbesetzung” als Astronautin. Worüber man sich bei Gravity unterhält sind die grandiosen Effekte und Einstellungen, aber nicht über inhaltliche oder gar philosophisch-existenziallistische Fragestellungen. Dafür dringt der Film nicht weit genug in die tiefen ihrer menschlichen Psyche vor.
Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen alleine sein und wahrer Einsamkeit. Ryan Stone ist alleine, doch sie ist weit entfernt davon zu spüren, was wirkliche Einsamkeit bedeutet, nicht in dem Ausmaß wie ein Ivan Locke (Tom Hardy) oder Robert Redford in All is Lost. Bei ihr ist es nicht eine derart tiefsitzende Isolation von ihren Mitmenschen, dass sie Gefahr läuft nie wieder Anschluss an andere Menschen zu finden, bei ihr reduziert es sich “lediglich” auf den äußeren Umstand alleine (nicht einsam!) durch das Weltall zu treiben. Sie wird wieder Gesellschaft haben wenn sie es auf die Erde schafft, sie wird ihr Leben danach nicht vereinsamt verbringen. Die Einsamkeit ist nicht ihr ständiger Begleiter, sondern bloß ein bedrohlicher umgebungs-bedingter Zustand.
Nächste Woche folgt Teil 2: All is Locke