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Interview mit OK Kid

Kaum ist das neue Album draußen, steht auch schon die große Tour an. Neben ihrem ausverkauften Arena-Konzert und einer wunderschönen Radio fm4 Session im Radiokulturhaus des ORF, nahmen sich die drei Jungs der Deutsch-Pop-Poesie-Band OK Kid sogar noch Zeit für ein kleines Interview.  In gemütlicher Atmosphäre – bei Melange und Verlängertem – plauderten wir über das neue Album, musikalische Weiterentwicklung und warum manche Fans einfach ein bisschen länger brauchen, um sich von der „Sensation“ mitreißen zu lassen.

pressplay: Ihr seid ja quasi die Erfinder der Königsdisziplin der mit Metaphern angereicherten Texte in der deutschen Popmusik. Das Interpretieren von Textstellen ist immer das Aufregendste, wenn neue Musik von euch rauskommt. Aber diesmal gestaltet es sich sogar noch schwerer als sonst – was genau bedeutet denn nun „Sensation“? Wofür steht sie?

Jonas: Ich glaube dahinter versteckt sich eigentlich gar nichts. „Sensation“ schreit es einfach raus – sie ist laut, groß, für uns eigentlich eher untypisch. Wahrscheinlich wird es live auch ein komplettes Feuerwerk. Beim Song aber auch beim Album geht es ja eigentlich um das große Thema Aufmerksamkeit, nämlich Aufmerksamkeit als wichtigste Währung unserer Zeit. Deshalb ist das Ganze auch so aufgeblasen – wir wollten etwas schaffen, dass die Leute anzieht, weil sie die Verpackung spannend finden. Im Leben geht es ja oft auch nicht um Inhalt, sondern nur wie dieser dargestellt wird und darum dreht sich das ganze Album. Es geht ums Hier und Jetzt und um die Themen, die jetzt gerade wichtig sind. Große, sensationelle Headline Themen, die der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten sollen. Auf dem Cover sind Leute, die dich anschauen und über dich reden und so wirst du sogar selbst zur Sensation.

Rückblickend auf die vorherigen beiden Alben kommt man nicht umhin, festzustellen, dass ihr – obwohl ihr immer schon sehr politisch wart – im Vergleich zu früher noch viel politischer geworden seid. Typische Themen wie Selbstzweifel, Herzschmerz – diese ganz persönlichen Geschichten, die ihr früher besungen habt, sind den größeren Themen fast gänzlich gewichen. Wodurch ist diese Entwicklung passiert?

Jonas: Wow, gute Frage.

Raffi: Was du sagst, stimmt schon, aber wir haben durchaus auch auf dem neuen Album ein paar Lovesongs und Geschichten, die an unsere ältere Musik erinnern. „Hinterher“ ist definitiv ein Lovesong, aber es stimmt schon, dass sich unsere Perspektive verändert hat. Es ist alles nicht mehr so Ego-betont wie früher, es besteht jetzt eine gewisse Nahbarkeit, die Moritz und ich uns auch von Jonas’ Texten gewünscht haben. Bevor wir das Album gemacht haben, haben wir uns wirklich erst mal zusammengesetzt und geredet, um zu erfahren welche Themen – mal abseits von dem ganzen Politischen – uns überhaupt wichtig genug sind, Songs darüber zu schreiben. Es waren natürlich eher Themen, die Jonas persönlich betreffen, aber durch dennoch auch uns alle, irgendwie. Und aus diesen Gesprächen sind dann die Lovesongs entstanden, die man jetzt auf dem Album findet.

Moritz: Das war auch wirklich das erste Mal, dass wir auf diese Art gearbeitet haben. Auch zum Thema „politischer“ werden – ich glaube, als wir angefangen haben Musik zu machen, da war das einfach noch nicht so präsent. Wir waren immer schon politische Menschen, die politische Musik gemacht haben. Aber einen Grund, wirklich was zu sagen, den gibt es für uns erst seit den letzten drei, vier Jahren.

Jonas: Wir haben uns wahrscheinlich damals auch noch zu viel mit uns selbst auseinandergesetzt. Als wir mit dieser Band angefangen haben, da waren diese Kämpfe, die man erst mal mit sich selbst ausfechten muss auch noch viel präsenter als jetzt. Wie ist es überhaupt möglich, von der Musik zu leben? Wie kommt die Miete rein? Wir haben das ja völlig ins Blaue hinein gemacht. Aber als dann der Zeitpunkt kam, an dem klar war, dass mit der Band ist relativ sicher, gingen die Themen weg von uns und wir konnten uns mehr auf die Welt da draußen konzentrieren.

Also ging es darum, sich ein Standing zu erarbeiten, bevor man sich zu politischen Themen äußert?

Jonas: Nein, das gar nicht. Jeder hat ein Standing, jeder hat die Berechtigung was zu sagen. Es geht mehr darum, dass sich unser Themenspektrum erweitert hat. Vor sieben Jahren war einfach alles anders – da konnte noch keiner von der Musik leben. Jetzt haben wir wirklich den Raum, gemeinsam was zu erschaffen – wir haben noch nie so viel über Songs und Themen diskutiert und deshalb ist auch alles auf dem Album so aktuell. Außer „1996“ spielen alle Songs im jetzt.

Der Schaffensprozess ist euch ja diesmal nicht so leicht gefallen, ihr habt vieles wieder verworfen und neu gemacht – die Albumankündigung kam aber schon vor einem Jahr, was ist seitdem passiert? War das Album damals schon fertig?

Raffi: Nein, ganz weit weg von fertig.

Jonas: Wir waren fertig!

Moritz: Wenn man zwei Alben veröffentlicht hat, die auch zusammenfassend verstanden werden können – weil „ZWEI“ eine Weiterentwicklung vom ersten Album war, da sich beide sozusagen im selben lyrischen, musikalischen Kosmos bewegt haben – dann steht man plötzlich vor dem dritten Album und vor der Entscheidung, ob man noch mal eine Fortsetzung macht oder was Neues. Ich glaube wir wollten eine Veränderung und das braucht Zeit. Strukturen und Arbeitsweisen zu verändern, damit daraus was Neues entstehen kann. Wir haben auch unser Songwriting komplett umgestellt. Davor war es so, dass entweder Raffi oder ich ein Instrumental gemacht haben und Jonas hat darauf dann einen Text geschrieben. Jetzt war es wirklich erstmals so, dass wir zu dritt gemeinsam Musik gemacht haben und Texte und Musik gleichzeitig entstanden sind.

Jonas: Aber das war gleichzeitig auch die Schwierigkeit. Wir sind ja keine Band, die einfach nur zusammen ist, um mal wieder ein Album zu veröffentlichen – es war mehr eine Challenge an uns selbst und die Frage: Was wollen wir gemeinsam als Band machen? Und dann die Entscheidung zu treffen, ein klares Pop-Album rauszubringen, die war nicht leicht. Theoretisch hätten wir ja alles machen können. Wäre es ein Rap-Album geworden hätte das bestimmt auch irgendwie zu OK Kid gepasst, wie das Indie-Album (OK KID) oder das Elektronica-Album (ZWEI) und da rauszufiltern, was wichtig für uns ist und wie wir uns selbst definieren wollen, im Jahr 2018, über unsere Musik, das war einfach schwierig. Wir wollten unbedingt was Neues machen und hatten aber auch lange Phasen, wo wir das Gefühl hatten, wir kommen überhaupt nicht weiter. Parallel haben wir unser erstes eigenes Festival angekündigt und die Tour – dadurch gab es einen gewissen Druck unter dem es dann endlich funktioniert hat. Das war zwar bisschen weird aber auf einmal war eine Leichtigkeit da, obwohl es quasi die letzte Chance war, das Album schnell fertig zu machen und noch vor der Tour rauszubringen.

Ein reines Pop-Album, ausverkaufte Konzerte, ein eigenes Festival – würdet ihr sagen, dass ihr mittlerweile massentauglich geworden seid? War euer Anspruch, den Leuten den Zugang zu eurer Musik und euren Themen durch Popmusik zu erleichtern?

Raffi: Also eigentlich war unsere Musik ja immer schon massen-tauglich. Die Frage, was ist massen-tauglich und was nicht, ist auch nicht so leicht zu beantworten – wir waren noch nie verquer und wir haben immer schon Popmusik gemacht. Klar gab es einige Songs, die waren vielleicht ein bisschen sperriger aber es gab gleichzeitig auch immer schon Songs, die voll poppig waren.

Jonas: Für uns war es einfach immer wichtig, dass niemandem der Zugang zu unserer Musik verwehrt wird, durch eine absichtlich konstruierte Sperrigkeit. Wir wollten etwas erschaffen, das fürs Ohr schön klingt, was nicht heißen muss, dass dabei eine gewisse Seichtigkeit angestrebt wird, unser eigener Stil verloren geht oder unsere Ästhetik. Klar, so ein Song wie „Hinterher“ hat eine Ohrwurm-Hook und klingt vielleicht nicht extrem komplex, aber die Produktion, die dahinter steht, ist immer noch sehr durchdacht und auch textlich hat das alles noch immer viele Sub-Ebenen. Wäre das wirklich alles so einfach heraus, wie es vielleicht klingt, dann hätte es auch nicht diesen Unterbau an Vielschichtigkeit. Die ermöglicht den Zugang durch ihre Einfachheit und gleichzeitig kannst du dir „Hinterher“ zehn Mal hintereinander anhören und dir fällt jedes Mal eine andere Stelle aufs Neue besonders auf. Und das macht einen guten Pop-Song aus, dass du dran hängen bleibst. Das macht auch unser Album aus. Du kannst bei „Sensation“ einfach nur mitgrölen, im Fußballstadion und es funktioniert, oder aber du setzt sich auf einer tieferen Ebene damit auseinander und entdeckst so viel mehr, was da alles noch dahinter steckt. Das macht die Spannung aus.

Für viele langjährige Fans war diese Veränderung, die ihr beschreibt aber durchaus schwer annehmbar. Der rote Faden der ersten beiden Alben ist abgerissen, der Kaffee ist längst abgekühlt und wird auch nicht mehr aufgewärmt – viele sind enttäuscht. Woran liegt das und wie sind derartige Reaktionen für euch?

Jonas: Verwirrung ist doch geil. Wir wussten ganz genau, wenn wir dieses Album veröffentlichen, dass es sehr anders ist und auch anders ankommen wird. Ich glaube, es braucht auch die Tour, um die Leute richtig drauf einzustimmen, sodass sie ankommen können, in der neuen Ära. Es fucked uns nicht ab, dass es nicht das kommerziell erfolgreichste Album von uns sein wird, obwohl es so poppig ist. Das ist für uns nicht wichtig. Das Album ist ein Statement von uns zur heutigen Zeit und das anzunehmen geht eben nicht so schnell. Es braucht Zeit, um sich damit auseinanderzusetzen.

Raffi: Ich glaube, wir wären eher enttäuscht gewesen, wenn wir gesagt hätten: „Okay wir machen jetzt ein fettes Pop-Album und dann geht’s richtig ab mit uns!“ – aber das war ja nie unser Ziel. Ja, es hat viele poppige Stellen aber es hat immer noch genau so viele sperrige Stellen. Ein Song wie „Wolke“ ist sperrig. Das Album folgt ja auch nicht einem klaren Konzept, die einzelnen Songs des Albums sind einfach so entstanden und da ist es irgendwo klar, dass das manche Leute nicht verstehen. Aber man stellt sich deswegen nicht selbst in Frage oder ist enttäuscht – im Gegenteil: es ist für uns sehr spannend so viele unterschiedliche Reaktionen zu bekommen. Man muss auch sagen, dass es, grad nach den fast ausschließlich positiven Reaktionen auf die vorherigen Alben, richtig geil ist, auch mal andere Reaktionen zu bekommen. Wir haben eh immer schon gewitzelt, dass wir mal bisschen Hate brauchen. Aber das, was wir jetzt bekommen ist ja kein Hate, sondern einfach nur verschiedenste Reaktionen von verschiedenen Leuten und das ist total cool.

Ein ganz besonderes Kunstprojekt sind auch eure Musikvideos, die immer total spannende, schön aufbereitete Geschichten erzählen. Wie kommen die zustande? Konzipiert ihr das alles selbst?

Jonas: Das macht nodrama Productions, das sind Freunde von uns (Stefan Braunbarth & Kamil Hertwig), die sind auch immer auf Tour dabei. Die Grundidee für die Story in den Videos geht meistens von uns aus und dann entsteht quasi im Ping-Pong Spiel gemeinsam mit denen das Musikvideo.

Zur Tour: Was ist mehr euer Ding? Akustisch und in kleinem Rahmen oder groß und pompös, in der ausverkauften Halle?

Raffi: Es ist natürlich beides geil!

Danke für das spannende Interview und viel Erfolg für eure Tour.