Interview mit Matt Porterfield
Anlässlich des dritten Films I used to be darker von Regisseur Matt Porterfield, der bei der diesjährigen Viennale gezeigt wurde, hat sich pressplay mit dem jungen Regisseur zusammengesetzt und über Swimmingpools, Break-Ups und die unendlich vielen Viertel von Baltimore gesprochen.
pressplay: Ich wollte gerne mit Putty Hill, deinem zweiten Film anfangen, den ich vor ein paar Tagen wiedergesehen habe. Es ist auffallend, dass es zwischen Putty Hill und I used to be darker einen großen Unterschied in Bezug auf Klasse bzw. Milieu gibt. War dir von Anfang an klar, dass der Film in einem anderen sozialen Umfeld spielen würde?
Matt Porterfield: Ich war schon während meiner Kindheit mit sehr gegensätzlichen Welten konfrontiert. Ich bin in dem Viertel geboren und aufgewachsen, dass in Putty Hill und Hamilton portraitiert wurde. Es ist sehr working class, aber meine Eltern waren beide Lehrer und haben mich auf eine Privatschule gegeben, wo ich mithilfe von Stipendien zehn Jahre zur Schule gegangen bin. Meine SchulfreundInnen und ihre Familien lebten ziemlich anders als wir und hatten viel mehr Geld. Ich habe dadurch einen Bezug zu beiden Welten bekommen. Und ich hatte einfach das Gefühl, dass die Geschichte von I used to be darker in einer Mittelklassefamilie spielt, der sogenannten ‚Petite Bourgeoisie‘.
Ein weiterer Unterschied zu Putty Hill zeigt sich in den Handlungsorten der Filme. Putty Hill spielt an unbestimmteren und wilderen Plätzen, während sich die ProtagonistInnen in I used to be darker in etablierten und festgelegten Orten bewegen.
Die Frage nach dem Umgang mit öffentlichem Raum ist spannend. Ich habe nicht so ausdrücklich darüber nachgedacht, aber es gibt doch bestimmte Orte in den Filmen, die Klassenzugehörigkeit ausdrücken. Eine große Unterscheidung sieht man in den Schwimmbecken, die vorkommen. Der in den Boden eingelassene Swimmingpool aus I used to be darker ist teuer und luxuriös. In Hamilton und Putty Hill hingegen sind die Pools oberirdisch, sie stehen einfach im Garten herum und sind eindeutig mehr working class. Auch eine der einzigen großen Freiflächen in I used to be darker ist eine Parkfläche, die zu der Privatschule gehört, auf die ich gegangen bin. Wenn man zur US-amerikanischen Mittel- oder Oberschicht gehört, ist man es wohl gewohnter sich in privaten Freiflächen zu bewegen.
In deinem Film gibt es eigentlich vier ProtagonistInnen. War es schwer, jedem die nötige Zeit und den nötigen Raum zukommen zu lassen? Oder warst du manchmal verleitet einer Geschichte mehr zu folgen, als den anderen?
Es war definitiv eine Frage der Balance. Alle ProtagonistInnen sind mehr oder weniger isolierte Konstellationen, die umeinander kreisen. Wir haben uns sehr bemüht jeder Figur genug Zeit zu geben. Die MusikerInnen bekommen natürlich die Gelegenheit sich durch ihre Lieder auszudrücken. Aber ja, es macht Spaß die Perspektive verschieben zu können. Wenn es keinen eindeutigen Protagonisten gibt, ist das im Idealfall ein Weg, wie die Identifikationsmöglichkeiten des Publikums beweglich bleiben. Jeder wird sich mit einem anderen Charakter identifizieren. Ich habe mit ZuschauerInnen gesprochen, die fast bis zum Schluss nicht auf Kim angesprochen haben. Viele fühlen vielleicht eher mit Ned mit, weil er so leidet, er ist sehr verletzlich. Oder manche identifizieren sich am meisten mit den zwei jungen Frauen. Ich habe das Gefühl es gibt im Film jedenfalls immer mindestens zwei Identifikationsfiguren.
Ich finde es auch mutig, der Musik so viel Raum zu geben. Immerhin besteht der Film wahrscheinlich zu einem Viertel aus der Livemusik. Zeit, in der die Geschichte nicht dezidiert weitererzählt wurde, sondern die Musik zu Wort kommt.
Der Film scheint für amerikanische KritikerInnen sowie für Personen, die Filme produzieren, frustrierend gewesen zu sein. Es gibt diese bestimmte Erwartung an narrativen Film, dass die Handlung immer vorangetrieben werden muss und nie zum Erliegen kommen darf. In jeder Szene soll Dynamik liegen und die Geschichte vorantreiben…das ist einfach bullshit. Ich mag es, mir Dinge zu überlegen, die mit dem Narrativ brechen. In Putty Hill waren das die Interviews, in diesem Fall sind es die Performances.
Ich fand den Film aber viel klassisch – erzählerischer, als Putty Hill und auch weniger schwermütig als erwartet. War vielleicht der Titel auch ein Verweis darauf, dass eine Trennungen oder eben sogar eine Scheidung, nicht mehr so sehr von herzbrecherischem, jugendlichem Pathos geprägt ist, sondern von mehr Rationalität und Kühle? Es fühlt sich im Film oft so an, als müssten die Figuren ihre einmal gefällten Entscheidungen durchziehen und es bleibt nicht viel Platz dafür in Tränen auszubrechen, da das Drama schon irgendwann davor stattgefunden hat…
Ja, das trifft es gut und war auch, was wir im Film artikulieren wollten.
Und der Titel des Films stammt aus einem Song, richtig?
Ja, aus den Lyrics von dem Lied Jim Cain von Bill Callahan (Sänger von SMOG). Das ganze Album habe ich sehr oft gehört, als meine Ehe in die Brüche ging. Es ist auch ein Trennungsalbum, er hat es geschrieben, als er sich von seiner Partnerin trennte. Es funktioniert in diesem Zusammenhang sehr gut. Ich hab meiner Drehbuchautorin das Album vorgesetzt und wir haben es gemeinsam viel gehört. Es ist zu einer Art emotionalem Wegweiser während des Drehbuchschreibens geworden. Mir gefällt der Satz (I used to be darker) und, dass jeder der Charaktere ihn sowohl in der Vergangenheit, Gegenwart oder auch Zukunft vor sich hin sagen könnte. Es geht nicht um tatsächliche Dunkelheit, es ist etwas in das wir uns hinein- aber auch wieder hinaus begeben. (murmelt ein paar Zeilen aus dem Text)
Okay, das muss ich mir anhören.
Absolut!
Eine weitere mutige Entscheidung: du arbeitest, wieder, mit nicht-professionellen DarstellerInnen. Und die sind außergewöhnlich gut.
Ja, die sind auf einer anderen Ebene. Ich glaube das kommt daher, dass Zwei von ihnen MusikerInnen sind. Ich glaube Musiker haben extrem viel Potential als Schauspieler, weil sie sich ihres Körpers und ihrer Stimmen sehr bewusst sind und es gewohnt sind zu ‚performen‘. Sie verstehen auch, dass ein Auftritt in Einzelstücke zerlegt werden kann, dass es nicht immer Kontinuität gibt. Besonders wenn man ein Album aufnimmt muss man ja immer und immer wieder dieselben Strophen singen und isolierte Teile wiederholen. Das ist es auch, was von SchauspielerInnen erwartet wird und was den Unterschied zum Schauspielen am Theater ausmacht. Hannah Gross, die Abby im Film spielt hat Erfahrung im Theaterbereich. Und Deragh Campbell (Taryn) kommt aus einer Theaterfamilie. Sie wussten also alle, was von ihnen als SchauspielerInnen erwartet wurde. Ich habe schon oft mit jungen und unerfahrenen SchauspielerInnen gearbeitet, besonders in Putty Hill. Die hatten wirklich keine Ahnung, was die Erwartungen an sie waren. Es war meine Aufgabe ihnen zu helfen, das zu verstehen. Da sie davor noch nie bei einem Film mitgemacht hatten, wussten sie auch nicht, was beim Prozess des Drehens so passiert – es kann sehr langwierig sein und durch die vielen Wiederholungen auch langweilig. In I used to be darker waren die SchauspielerInnen unerfahren, aber trotzdem professionell.
Und wie hast du deine Cast gefunden?
Kim haben wir durch einen glücklichen Zufall getroffen. Ich kannte Ned, weil er einige Zeit lang in Baltimore gelebt hat und ich von seiner Musik gehört hatte. Amy, meine Co-Drehbuchautorin ist mit Kim zur Schule gegangen, also hat sie mir zuerst Kims Musik und dann Kim persönlich vorgestellt. Wir haben uns mit Ned und Kim in Charlottesville, Virginia (wo Ned lebte) getroffen. Kim hat an dem Abend ein Konzert gespielt und wir sind alle gemeinsam hingegangen und haben noch den nächsten Tag miteinander verbracht, was wirklich nett war. Im Jahr davor hab ich Hannah (Gross) und Deragh (Campell) bei der Premiere von Putty Hill getroffen, beiden hat der Film sehr gut gefallen. Deragh studierte zu dem Zeitpunkt kreatives Schreiben in Montreal – sie sind nämlich beide aus Kanada. Sie wollte gerne das Skript lesen, an dem ich zu dem Zeitpunkt gearbeitet habe. Ich habe es ihr geschickt und dann das Drehbuch von I used to be darker und sie hatte ziemlich gute Kommentare. Dann hab ich Hannah vorsprechen lassen, weil sie Schauspiel in N.Y. studierte und ihr die Rolle gegeben. Deragh, die mit Hannah befreundet ist, sagte daraufhin, dass sie gerne für die Rolle der Taryn vorsprechen würde, da ihre Mutter aus Belfast ist und sie also den Dialekt kennt. Wir hatten also wirklich gute Verbindungen.
Stand für I used to be darker mehr Budget zur Verfügung, als für deine vorigen Filme?
Verhältnismäßig mehr. Es ist trotzdem noch ziemlich low budget. Vielleicht das doppelte Budgets meiner letzten Filme.
Zurück zum Film – ein Charakter, der mich auch beschäftigt hat, war Taryns Mutter. Sie war sozusagen die stille Akteurin im Hintergrund. Man trifft sie nie, aber sie definiert trotzdem die anderen Personen, vor allem ihre Schwester Kim.
Es hat Spaß gemacht, ihren Charakter zu entwickeln. Wir haben viel Zeit damit verbracht uns Taryns Mutter – Kims Schwester – vorzustellen und haben uns einen Haufen Geschichten ausgedacht. Sie wurde in den USA geboren und zog in ihren späten Jugendjahren nach Belfast, traf dort einen Typ, hatte ein Kind. Aber sie wohnen in Ballymoney, einer richtig kleinen Stadt. Und ich glaube, sie ist eine ziemlich schwierige Person. Wir sagen es nie direkt, aber Amy und ich stellten uns, während wir am Drehbuch schrieben jemanden vor, der mit psychischen Problemen hadert und unter Depressionen und Angstzuständen leidet. In ihr manifestiert sich auch, dass Taryns Aufwachsen nicht so einfach war.
Und an was für neuen Projekten arbeitest du gerade?
Ich schreibe gerade an etwas, dass ich gern nächsten Sommer drehen würde. Ich brauche immer ein paar Jahre bis ich ein Drehbuch fertiggeschrieben habe. Ich habe jetzt ein Jahr daran gearbeitet und ich bin auf halbem Weg durch den zweiten Entwurf. Es geht um einen Mann in meinem Alter, also ein bisschen jünger, so um die 33, der einige Zeit wegen Drogenbesitz im Gefängnis abgesessen hat. Er kommt auf Bewährung aus dem Gefängnis, allerdings unter Hausarrest und so muss er bei seinem Vater unterkommen. Das ist eigentlich die Hintergrundgeschichte – wir treffen ihn, als er noch auf Bewährung ist, sich aber schon freier bewegen darf. Er sucht nach Arbeit und versucht sich in seine alte Gemeinde zu re-integrieren. Es ist mehr eine singuläre Charakterstudie und spielt wieder mehr in einem working-class Umfeld, allerdings in einem anderen Viertel. Das ist ein Stadtviertel im Süden von Baltimore, das am Chesapeake Bay, einem wichtigen Wasserweg, liegt. Der Stadtteil fing als company town von Bethlehem Steel an und jetzt herrscht dort Stillstand und alles steht leer. Es geht also in gewisser Weise direkter um Klassenverhältnisse und Wirtschaft.
Du arbeitest dich sozusagen durch die Nachbarschaften von Baltimore.
(lacht) Das stimmt. Baltimore wird in einer ihrer vielen Spitznamen als city of neighbourhoods bezeichnet. Das kommt daher, dass es mehr charakteristische Stadtteile hat, als irgendeine andere Stadt vergleichbarer Größe. Es gibt über 130 unterschiedliche Viertel, obwohl nur 300 000 Leute in Baltimore leben. Boston hat an die 30 Bezirke, Cleveland hat um die 45, die meisten Städte haben etwa 50. Aber Baltimore hat 130. Das sind also höchst unterschiedliche Enklaven, die entlang Unterscheidungslinien von race und class verlaufen.
Sind diese Viertel sehr getrennt oder vermischen sie sich miteinander?
Ja, sehr seltsam, insular und abgetrennt von einander. Es ist eine wirklich verrückte Stadt. Du kannst ein Stadtviertel auswählen und es hat eine total unverwechselbare und autonome Demographie. Ich finde es bieten sich endlose Möglichkeiten die Stadt zu erkunden und sich durch das Filmemachen die unterschiedlichen Stadtviertel anzueignen.
Vielen Dank für das spannende Gespräch!