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Interview mit Alexander Sokurow

Am 7. Jänner startete Francofonia, der neue Film von Alexander Sokurow (Moloch, Russian Ark, Faust) in den österreichischen Kinos. pressplay hat mit dem Regisseur gesprochen.

pressplay: Nach Russian Ark widmen Sie sich in Ihrem neuen Film Francofonia erneut einem bedeutenden europäischen Museum, dem Louvre. Stehen die beiden Filme in einem Zusammenhang miteinander?

Alexander Sokurow: Der gleiche Regisseur, das ist das einzige, das die beiden Filme verbindet, der gleiche Autor. Alles andere, der Zugang, unterscheidet sich.

In Francofonia erzählen Sie von der Begegnung zwischen Jacques Jaujard und Graf Metternich. Der eine Direktor des Louvre, der andere nationalsozialistischer Besatzer und doch scheinen die beiden viel miteinander gemeinsam zu haben. Ist die Liebe zur Kunst etwas Verbindendes oder leitet die beiden ein jeweils anderes Motiv, die Sammlung des Louvre zu retten?

Ich würde nicht sagen, dass sie die Liebe zur Kunst gemeinsam haben, sondern Zivilisiertheit. Sie haben die gleichen Prinzipien. Es ist wichtig, dass Menschen, die aus verschiedenen politischen Systemen und sozialen Gesellschaften kommen, die gleichen Prinzipien haben. Wenn sich die Menschen auf humanistische Prinzipien stützen, die über der Politik, über politischen Prinzipien stehen, dann – das ist sehr wichtig – finden Sie eine gemeinsame Sprache. Metternich war ein hochgebildeter Mensch, der sich auf die deutschen universitären Traditionen stützte. Auch der Direktor des Louvre war gebildet und hat sich auf die französischen universitären Traditionen gestützt. Nicht einmal der Krieg konnte diese Prinzipien zerreißen. Da sehen Sie, wie stark sie in Menschen weiterwirken. Deswegen haben Sie sofort eine gemeinsame Sprache gefunden, als sie sich getroffen haben. Je mehr es solcher Menschen gibt, desto größer ist die Chance für die Menschheit zu überleben. Je mehr Menschen so sind wie die Politiker, desto geringer ist die Chance der Menschheit zu überleben. In einem gewissen Sinne ist alles einfach. Wir wissen, wie es gehen könnte. Der Film zeigt es. Es gibt nicht viele Möglichkeiten. Der Sinn des Filmes ist es, diese eine Variante aufzuzeigen.

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Bedeutet das, dass das humanistische Ideal von Kunst und Kultur eine universelle Sprache ist?

Ja, eine universelle Sprache und unvergleichlich höher zu stellen als die politische. Von ihrer Qualität her sind die humanistischen Prinzipien weit über die Prinzipien der hohen Politik zu stellen, denn Letztere zeichnen sich aus durch ein hin und her Lavieren, durch Lüge, Betrug, Verrat. Die humanistischen Prinzipien sind von ganz anderer Qualität. Wenn die humanistischen Prinzipien über den politischen stehen würden, wäre es zum Beispiel nie zum Krieg im Irak gekommen. Dieser Krieg hat belegt, dass die politischen Prinzipien wichtiger sind als die humanistischen. So aber sind dort Geschoße explodiert, dabei ist eine Stätte mit ihren Kunstwerken und Schätzen – Mesopotamien, die nicht einmal zur Gänze noch von Archäologen aufgearbeitet wurde – zerstört. Ein Riesenland wie die USA, mit vielen universitären Zentren, einem Haufen von Gelehrten, vielen gebildeten Menschen, keiner war in der Lage zu verhindern, dass dieser Krieg stattfindet. Keiner hat sich darüber Gedanken gemacht. Keiner hat sich dem widersetzt, dass der Irak bombardiert wird, dass irakische Museen zerstört werden, von amerikanischen Soldaten geplündert werden, nichts wurde unternommen. Und heute kommen wir aus dem Schlamassel, das damals angerichtet wurde, nicht mehr raus. Alles hat davon seinen Ausgang genommen, dass die humanistischen Prinzipien nicht in der Politik verankert sind.

In Francofonia verwischen die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion, Sie verwenden Archivmaterial, ziehen mehrere Erzählebenen ein und geben auch den neuen Spielfilmaufnahmen einen historischen Rahmen bzw. das Aussehen historischer Bilder. Ist das ein Spiegel Ihres Geschichtsverständnisses, dass auch Geschichte eine Art Konstruktion ist und – wie ein Film – erst im Nachhinein geschrieben, gemacht, montiert wird?

Ja natürlich ist die Geschichte ein Konstrukt, das kann gar nicht anders sein. Es wird schließlich alles von Menschen gemacht. Die Geschichte ist eine Aneinanderreihung von Fehlern und Nicht-Fehlern, ohne diese gäbe es auch keine Geschichte. So war es immer, nicht nur im 20. Jahrhundert, die ganze Zivilisation der Alten Welt ist durch zahllose Fehler zustande gekommen. Wobei für die Fehler, die in der Alten Welt gemacht wurden, kennzeichnend ist, dass es sich um Massenerscheinungen mit Millionen von Beteiligten handelte, was zum Beispiel in der Geschichte der arabischen Welt nicht zu finden ist.

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Ich habe den Film auch als eine Reflexion über die Wertigkeit oder auch die Wertschätzung von Kunst gegenüber Menschenleben verstanden. Am Ende steht die Frage, was gerettet wird, wenn der Kahn kippt, die unwiederbringliche Kunst oder die Menschen? Ist das eine Frage, die überhaupt beantwortet werden kann?

Ja, das kann man schon beantworten und zwar ist die Antwort immer eine individuelle. Ich würde den Menschen retten, aber der andere würde Leonardo da Vinci höher einstufen. Ich würde den Menschen retten, auch wenn ich weiß, dass sich aus diesem geretteten Menschen möglicherweise in Zukunft ein Monster entwickeln wird. Leonardo würde am Meeresgrund liegen, aber ich würde mich so entscheiden.

Der Film zeigt, dass im Vergleich Louvre-Eremitage Frankreich und Russland diese Frage anders beantwortet haben.

Frankreich und Russland haben unterschiedlich darauf geantwortet. Das hat auch mit der Tradition zu tun – und es ist heute nicht anders, als es damals war –, dass Frankreich bzw. Europa im Jetzt lebt, während Russland an die Zukunft denkt. Wenn du nur an den heutigen Tag denkst, dann ist es dir ganz egal, du gibst dein Land auf, du lieferst deine Kunstschätze aus. Wenn du hingegen daran denkst, was später einmal sein wird, dann ist es unmöglich, mit Ländern wie dem damaligen Deutschland einen Kompromiss zu finden. Politikern ist es äußerst unangenehm, wenn moralisches Denken in ihre Prinzipien Eingang findet. Wenn es darum geht, werden die Kunstwerke ausgeliefert oder nicht, ist das ein politökonomisches oder moralisches Problem?

Die verschiedenen Systeme werden auf diese Frage jeweils anders antworten.

Meiner Meinung nach gibt es da nur eine Antwort, unabhängig davon, was sich in Asien, Europa oder in Russland befindet. Die Politiker treffen die falsche, denn sie denken nicht an die kommenden Generationen, man hat aber eine Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen.

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Sie haben einmal in einem Interview gesagt, dass Filmemachen etwas mit Fehlermachen zu tun hat und dass das Kino wie ein kleines Kind ist, das von einem Erwachsenen beaufsichtigt werden muss. In Ihren Filmen haben Sie diese Aufsicht vielfach der Literatur gegeben. Gibt es so etwas in Francofonia auch?

Ich brauche diese Aufsicht auch. Ich bin kein Schriftsteller, ich bin Filmschaffender und alle Kunstgattungen existieren in meinen Filmen. Statt Kind würde ich Halbwüchsiger zum Kino sagen und Halbwüchsige haben es so an sich, dass sie schwer steuerbar sind, wie bei der Entdeckung des Geschlechtstriebes usw. Das Problem ist, wie wir da mit dem Kino umgehen. Das gleiche Problem stellt sich bei der Erziehung von Halbwüchsigen und die übliche Vorgangsweise ist: Lassen wir‛s, warten wir ab, wie es sich entwickelt, es wird schon aus dieser Phase herauskommen. Sie kennen sicher Leute, die von sich sagen: „Was bin ich mit 14, 15 Jahren für ein Idiot gewesen. Ich verstehe überhaupt nicht, wie ich mich damals so verhalten habe, aber jetzt bin ich ja ganz ein Anderer.‟ So ist es mit dem Kino, mit dem Film auch. Es wird die Zeit kommen, wo man zurückblicken wird auf die Jetztzeit und sagen: „Wie konnte das Filmschaffen sich nur auf diesem Niveau bewegen. Wie konnte es nur so sein, wie es war!

Das heißt, alles strebt zum Besseren?

Nicht immer, bei weitem nicht immer. Nur wenn man sich anstrengt. Das Übel geschieht von selbst. Das Böse ist ständig präsent. Der Tod ist der Gipfel des Bösen. Wenn man das Gute will, muss man sich anstrengen, manchmal sogar titanische Anstrengungen leisten. Wenn wir daran arbeiten, wird es besser werden. Wenn wir aufhören daran zu arbeiten, wird es ganz übel. Wenn wir beide in einem Boot sitzen … Sitzen wir in einem Boot?

Sitzen wir letzten Endes nicht alle in einem Boot?

Nein, wir sitzen nicht alle in einem Boot, da irren Sie sich. Es gibt viele Boote. Manchmal schließen sich Menschen zusammen, aber sie sitzen in verschiedenen Booten. Saßen Dostojewskij und Nietzsche in einem Boot oder doch in zwei Booten parallel?

Ich hätte jedenfalls nichts dagegen, mit Ihnen im selben Boot zu sitzen. Vielen Dank für das Interview.




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