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Sebastian Schipper – eine Art Interview

Das Leben eines Filmemachers kann anstrengend sein. Da macht man einen Film – Victoria –, der das Prädikat „bemerkenswert wertvoll‟ erhält und von der Kritik aufgrund seiner Außergewöhnlichkeit gelobt wird. Und dann bekommt man in Interviews immer dieselben Fragen –  meint zumindest der Regisseur Sebastian Schipper.

Ich habe versucht, mit Schipper über seinen Film zu sprechen und schließlich haben wir über alles Mögliche gesprochen, nur wenig über die Fragen, die ich zum Film hatte. Denn die hat Schipper laut eigener Aussage schon tausendmal gestellt bekommen und ebenso oft beantworten müssen. Dem ist aus meiner Sicht hinzuzufügen: aber für pressplay möchte er die Fragen nicht noch einmal beantworten. Ich fühle mich aufgrund Schippers offenbar exklusiver Offenheit unserem Magazin gegenüber nicht unbedingt geehrt, habe ich doch ausgiebige Interviews, die er anderen Zeitungen und Zeitschriften gegeben hat, im Hinterkopf. Nichtsdestotrotz ist es nachvollziehbar, dass es öde ist, wie Schipper artikuliert: Oh Gott, das habe ich alles schon so oft gesagt. Tut mir leid, dafür kannst du gar nichts. Mit dem Film sind wir aus den Konventionen ausgebrochen und jetzt komme ich mir vor wie ein kleines dressiertes Tierchen, das zum hundertsten Mal über einen Stock drüberspringt, wie denn das mit dem Nonkonformistischen so geht und da winde ich mich manchmal ein bisschen.

Victoria wurde in nur einer Einstellung gedreht und nicht geschnitten. Schipper nennt diese Machart „wild‟, „nonkonformistisch‟ oder „frei‟ und meint, das Unkonventionelle erzeuge in anderen den Wunsch, Bezugspunkte zu finden und den Film wieder in eine Schublade zu pressen: Dadurch dass unser Projekt so nonkonform ist, tun sich die meisten Gespräche darüber auf, wo die Bezugspunkte sind. Stimmt, die meisten Menschen brauchen Kategorien. Nicht zuletzt Kritiker freuen sich, wenn sie den Film zum Beispiel einem Genre zuordnen können. Hier macht es uns Victoria leicht: Das ist ein Film über einen Banküberfall. Da denkt man nicht: „Häh, was passiert denn da jetzt.‟ Es ist alles ganz klar: Da sind Freunde, da verlieben sich zwei und dann überfallen sie eine Bank. Es ist ja kein abstraktes Bild.

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Ganz so einfach finde ich es nicht. Mir erscheint Victorias Verhalten zuerst ziemlich befremdlich – die Jungs erwecken von Anfang an keinen vertrauenswürdigen Eindruck und auch ihr Habitus stellt keinen Anknüpfungspunkt dar –, aber Schippers Antwort auf meine Frage nach Victorias Motivation fällt knapp aus: Das habe ich versucht im Film zu erklären. Das kann ich jetzt nicht noch nachreichen. Ähnlich ergeht es mir in Bezug auf die Form. Ich hätte gerne über das Zusammenspiel von Form und Inhalt gesprochen. Mich hätte interessiert, was das eine mit dem anderen macht, und frage in mehreren Anläufen nach der Drehweise, dem Ablauf und so weiter. Schipper hat sich darüber aber schon erschöpfend mit anderen unterhalten: Ich beantworte seit Februar die gleichen Fragen und es ist immer die Form. Wann bin ich auf die Idee gekommen? Wie bin ich auf die Idee gekommen? Wie haben wir das geprobt?

Na ja, so platt meinte ich es auch wieder nicht. Mich hätte interessiert, was diese Art zu drehen bewirkt. Schließlich konnte ich meine Fragen im Detail gar nicht anbringen: Welche Konsequenzen hat die Machart (für die Handlung und für alle Beteiligten, vom Regisseur über die Schauspieler bis zu den Rezipienten)? Und ist sie konstitutiv für den Film? Mag schon sein, aus Sicht des fertigen Ergebnisses ist das müßig, aber zumindest das gesteht mir Schipper zu: Nee, ich versteh das ja auch. Das ist auch das Tolle, dass man sich über den Film natürlich sehr gut unterhalten kann. Nicht nur die Machart ist aus der Konformität ausgebrochen, da kann man sich natürlich darüber unterhalten. Aber offenbar nicht mit unserem Magazin, drängt sich die Conclusio auf. Unsere Leserinnen und Leser sollen sich ihren eigenen Teil denken: Es ist einfach nicht so richtig einzuholen, was der Film kann oder was er macht. Es geht ja gerade darum, dass es wild ist und nicht definiert. Es sollen alle nur den Film kucken und am besten gar nichts drüber wissen und sich dann ihre Gedanken machen und ihre Schlüsse ziehen.

Ich denke also weiter alleine darüber nach, was die Machart von Victoria im Film und in mir als Zuschauerin auslöst. Ist die Beschränkung auf eine Einstellung eine Beschränkung im Sinne einer Einschränkung? Erzeugt sie dokumentarischen Charakter? Erhöht sie den Realitätsfaktor? Aber weshalb hatte ich dann bisweilen das Gefühl, nicht den Film zu sehen, sondern am Dreh teilzunehmen? Und manchmal ist die Technik spürbar, wie eine beengte Situation im Lift, wo ich selbst, weil ich die Perspektive der Kamera einnehme, zum Auslöser dieser Bedrängnis werde. Ich würde es nicht so bezeichnen, aber das ist vielleicht das, was Schipper unter Fehlern versteht: Viel zu viele Filme machen sich darüber Gedanken, wie sie die ganzen Fehler vermeiden können. Kein Mensch interessiert sich für Fehlervermeidung. Kein Mensch kommt aus dem Kino und sagt: „Der Film hat mir super gefallen, die haben keinen Fehler gemacht.‟

Fehler interessieren auch mich nicht. Stattdessen frage ich mich: Werde ich als Zuschauerin durch die Nähe zur intimen Beobachterin oder zum Teil der Figuren, der Gruppe, und somit zur Komplizin? Aber wie, wenn es Brüche in der Perspektive gibt und oft auch die Distanz fehlt, die Körper zueinander haben? Identifiziere ich mich also mit den Figuren? Ich bin jedoch nicht an allen Szenen beteiligt, allein Victorias Handlungen vollziehen sich nie im Verborgenen. Irgendwie empfinde ich das Drehen in einer einzigen Einstellung und den Verzicht auf Schnitt dann nicht als konstitutiv und doch macht es die Qualität des Films aus – oder nicht? Ist es vielleicht doch nur ein Stilmittel? So etwas wie ein Showeffekt?

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Vielleicht ist der befriedigendste Gedanke der, dass ich Teil der Crew bin, Teil des Drehs, denn laut Schipper kommt es auf den Prozess an: Ich habe immer gesagt: Der Film, den wir hier drehen, das ist das Nebenprodukt von der Zeit, die wir hier miteinander verbringen. Ich will nur, dass wir diese Zeit mit voller Leidenschaft und voller Hingabe, aber auch mit unsern Köpfen und unserer Klugheit und allem, was wir bis jetzt gelernt haben, miteinander verbringen. Der Film ist das Nebenprodukt dieser drei, vier Monate. Das ist vielleicht nicht hundertprozentig wahr, aber es ist trotzdem wahr. Also es ist nicht ganz wahr, weil ich das natürlich deshalb sage, weil ich gleichzeitig weiß, dass die tollste Musik entsteht, indem wir nicht über Musik nachdenken.

Ich frage mich letztendlich auch, wie „wahr‟ das alles ist, was ich von Schipper erzählt bekommen habe. Schließlich hat er, bevor noch die erste Frage zu Ende gestellt war, nach dem Medium und der Zielgruppe gefragt. Sebastian Schipper ist selbst Schauspieler, hat er demnach seine Rolle extra auf das kleine Independent-Magazin für junge, rebellische Leute zugeschnitten? Ganz falsch ist das sicher nicht, es ist wahrscheinlich aber auch nicht ganz wahr. Im Gegensatz zu seiner Widerständigkeit gegen konzeptionelle und konstruktive Fragen, lässt er uns jedenfalls bereitwillig an seinen Gedanken übers Schauspiel teilhaben:

Ich habe versucht, meine Schauspieler dazu zu bringen, dass sie intuitiv werden, dass sie instinktiv werden, dass sie reagieren, dass sie reflexartig sind, dass da etwas in Fluss kommt, mehr in einen vorbewussten Fluss, dass sie die Impulse, die sie haben, eben nicht kontrollieren. Das ist etwas Selbstvergessenes, das trotzdem Bewusstsein für die Form hat. Diese Art der Musikalität interessiert mich und die interessiert mich auch an mir selber. Und dann danach hier zu sitzen und zu sagen, wie wir das geprobt haben und wie wir das von langer Hand alles vorbereitet haben und ob ich gehofft habe, dass es Erfolg gibt oder so – in meinen besten Momenten, die für den Film am wichtigsten und stilprägendsten waren, waren mir alle diese Fragen egal, weil ich glaube, dass das, was wir zusammen erlebt haben, dass das im besten Fall eine Form von Freiheit ist. Ich glaube, dass es auch die eigentliche Form von Glück ist. Ich glaube, das Schönste, was uns passieren kann, ist, dass wir eine Form von Freiheit haben, die nicht darauf baut, dass wir einsam sind, also nicht darauf baut, dass wir alleine sind, dass wir uns innerhalb einer Gruppe, innerhalb eines Systems, innerhalb einer Geschichte, frei bewegen, frei und assoziativ bewegen.

Das klingt nicht schlecht, finde ich. Darüber hätte ich noch länger reden können, wenn meine Zeit und eigentlich auch meine Motivation nicht schon verbraucht gewesen wären. Am Ende sehe ich es so: Wir spielen alle unsere Rolle in einer Geschichte und nehmen eine Position in einem System ein. Doch es hängt nicht an mir allein, um mich darin frei bewegen zu können, müssen mir auch die anderen meine Position und meine Freiheit zugestehen.




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