Interview mit Melanie Lenz
Als kleinen Vorgeschmack auf den letzten Teil der Paradies-Trilogie (Kritik Teil 1, Kritik Teil 2) von Ulrich Seidl (Interview Teil 1, Teil 2) hat pressplay mit Melanie Lenz gesprochen, Hauptdarstellerin von Paradies: Hoffnung (zur Kritik) und frisch retour von der Berlinale. Sie erzählt über den Dreh, bei dem sie grade mal 13 Jahre alt war, die Realität von Diät-Camps und ihre Eindrücke von dem Festival in Berlin …
Du spielst die Hauptrolle in Ulrich Seidls Paradies: Hoffnung, der auf der Berlinale seine Premiere feierte. Hast du dir das erwartet, so bald auf einem roten Teppich entlang zu laufen?
So bald ist gut (lacht), da sind drei Jahre dazwischen vergangen, in denen ich nie wusste, wie, was, wann. Es hätte nur ein Film werden sollen, dann waren es auf einmal zwei und dann waren es drei. Das war schon eine lange Zeit zwischen dem Drehen und Berlin. Dann ging aber alles extrem schnell, von einem Tag auf den anderen heißt es, ich bin auf dem roten Teppich.
Welchen Eindruck hattest du von der Berlinale?
Großteils war es extrem stressig, überall Blitzlichter, man wird halb blind (lacht), aber es hat mir sehr gut gefallen. Ich habe viele nette Menschen getroffen, habe nach der Filmvorführung Lob bekommen, von irgendwelchen fremden Leuten, musste Autogramme geben und Fotos machen. Das war toll für mich.
Und es ist auch nicht unwichtig im Filmgeschäft. Hast du auf der Berlinale interessante Leute kennen gelernt, einen Prominenten oder vielleicht ein Idol von dir getroffen?
Ich war leider nur zwei Nächte dort. Einmal, als ich in der Maske war, habe ich Amanda Seyfried gesehen, die auch gerade geschminkt wurde. Aber ich habe nicht mit ihr geredet, ich habe mich nicht getraut.
Obwohl, jetzt bist du eigentlich eine Kollegin, oder?
Ja, nein … (lacht)
Ulrich Seidl hat den Ruf nicht unbedingt leichte, auch nicht unbedingt jugendfreie, Filme zu machen. Hattest du vor der Rolle schon einmal von ihm gehört oder einen seiner Filme gesehen?
Nein, aber als ich bei dem ersten Casting war, habe ich mir einen Film angeschaut. Ich war schon ein bisschen geschockt, aber es ist klar, dass einem Regisseur, der solche Filme macht, auch bewusst sein muss, dass er mit Kindern arbeitet und dass er sein Image nicht so ausleben kann. Er hat schon gewusst, was er macht.
Wolltest du schon immer Schauspielerin werden?
Ja, von klein auf, seit ich ungefähr drei, vier war. Ich stand jeden Tag vor dem Spiegel und habe etwas gespielt, mir etwas vorgesagt, etwas auswendig gelernt. Ich wollte immer ins Fernsehen und dann war ich auf einmal auf der großen Leinwand, das war unfassbar!
Wie ist es dann, wenn man sich selbst auf der Leinwand sieht? Fremd?
Ja, es ist schon etwas Fremdes, etwas anderes, als wenn man sich zum Beispiel im Spiegel sieht, aber ich hätte es mir schlimmer vorgestellt. Ich finde, ich komme im Film gut rüber, nicht aufgesetzt, sondern eher natürlich. Das ist schon sehr aufregend.
… und kein bisschen unangenehm?
Nein, nicht wirklich. Mancher Schauspieler, wie Joseph Lorenz, mit dem ich gespielt habe, sagt, er kann sich selber nicht auf der Leinwand sehen, für ihn ist es unangenehm. Für mich war es einfach … cool.
Was man sich eigentlich auch erwarten würde von einer Schauspielerin, dass sie sich gerne sieht …
Ja, aber vielleicht mögen manche Schauspieler nur das Schauspielen und nicht das Resultat. Ich mag beides.
Du spielst ein 13-jähriges Mädchen, das sich in einem Diät-Camp beim Abnehmen quält bzw. quälen lässt. Du warst selbst auch erst 13 Jahre alt. Konntest du dich mit der Figur identifizieren?
Es war am Anfang schwer in diese Rolle zu finden, weil es für mich unvorstellbar ist, dass ich mich in einen so viel älteren Mann verliebe. Das mit dem Diät-Camp war nicht so schwer, weil ich vorher schon in einem echten Diät-Camp war, aber es war nicht so streng.
Wie war es dort?
Im Film ist es extrem übertrieben, so ist das nicht. Ich war insgesamt sechs Wochen in einem Camp in Kärnten, 2009 und 2011, 2010 haben wir gedreht. Mir hat es dort großen Spaß gemacht, da gab es keinen Befehlston, es war einfach lustig. Man lässt sich nicht quälen wie im Film, sondern hat Spaß beim Abnehmen.
Ich könnte mir vorstellen, dass man am Anfang andere Vorstellungen und Erwartungen von einem Filmdreh hat. Also zumindest einmal Drehbuch lesen und Sätze auswendig lernen. Warst du überrascht von Seidls Arbeitsweise?
Nein, ich fand sie gut. Nur, dass es keine Maske gab, fand ich etwas komisch (lacht). Seidl will, dass alles natürlich rüberkommt und er sagt: „Im Unschönen liegt die Schönheit.“ Das finde ich dann wieder gut, wenn man natürliche Szenen dreht, soll man auch natürlich aussehen. Die Improvisation war nicht so schwer. Ich habe mich mit allen Mädchen angefreundet, dann war es irgendwann wie Routine, man weiß, wie man reden, seine Gesichtszüge einsetzen muss, das lernt man immer mehr, von Drehtag zu Drehtag wird es leichter.
Man hat auch nicht den Eindruck, dass dir das Improvisieren Probleme bereitet hat. Gab es trotzdem eine Szene, die dir besonders schwer gefallen ist?
Die Diskoszene mit dem jungen Mann, der mich abgefüllt hat, wenn man das so sagen kann, ich dann alles über mich ergehen lassen musste und dann am nächsten Tag vom Herrn Doktor abgeholt und in den Wald gezerrt wurde. Das war extrem unangenehm für mich.
Beide Szenen waren unangenehm?
Ja. Vor allem, den Mann in der Disko habe ich zwei Stunden gesehen und dann werde ich von ihm abgeschlabbert. Den Doktor, den Joseph Lorenz, habe ich zwar schon länger gekannt, aber die Waldszene haben wir oft drehen müssen, weil der Boden feucht war und Joseph Lorenz ausgerutscht ist. Als er mich aus dem Auto gezerrt hat und nicht mehr weiterkonnte, weil er schon außer Atem war, hat er mir leid getan und ich habe gefragt: „Was soll ich machen?“ Er hat gemeint: „Nichts, einfach nur liegen.“ Das war nicht so schön, aber die restlichen Szenen, die wir gedreht haben, waren super, ich hatte immer Spaß dabei.
Du hast auch die Szene in der Diskothek großartig gemeistert. Du hast wirklich bewusstlos gewirkt und ich habe mich währenddessen gefragt, an was denkt sie jetzt, dass sie tatsächlich so weit weg zu sein scheint. Hast du an etwas Bestimmtes gedacht?
Nein, eigentlich nicht. Nur: „Nicht die Augen aufmachen, nicht die Augen aufmachen, es muss richtig rüberkommen, dass du eine Alkoholvergiftung hast.“ Herr Seidl hat die Szene aber auch sehr gut zusammengeschnitten, so arg, wie es im Kino ausschaut, war es gar nicht. Das ist seine Spezialität, er hat das Talent, dass etwas dann im Film extrem wirkt.
Und gab es im Gegensatz dazu auch Szenen, die du sehr gern mochtest?
Ja, als wir die Süßigkeiten geklaut haben, aus der Küche. Das war super, wie wir vor dem Coach stehen und wir rennen weg, obwohl es überhaupt nichts bringt. Während ich dann am Boden liege, musste ich mich zusammenreißen, dass ich nicht lache. Die Flaschendrehszene im Zimmer war auch lustig, weil ich mich gut mit den anderen Jugendlichen verstanden habe. Das war wirklich immer wie eine kleine Party.
Du wirkst sehr natürlich vor der Kamera. Man hat den Eindruck, du merkst sie gar nicht. War das so?
Ja, irgendwann vergisst man die Kamera. Ich habe auch nicht gewusst, ob sie an oder aus ist. Herr Seidl sagt, wir sollen über das und das reden und gleichzeitig wird etwas hinter der Kamera beredet und dann ist es leise, aber man weiß nicht, ob die Kamera nun an ist oder nicht, da blinkt ja kein Licht auf oder so. Man weiß es nicht, also redet man einfach drauf los. Die Gespräche waren auch wie Privatgespräche. Herr Seidl sagt manchmal ein Thema, aber vieles ist von mir erfunden und aus meinem Leben, als 13-Jährige habe ich wirklich so gedacht.
Und wie ist es heute für dich, wenn du den Film siehst? Ist dir das peinlich?
Nein, ich denke mir einfach, das ist lang her, da war ich noch klein, jetzt bin ich 16, jetzt bin ich schon fast erwachsen (lacht). Es ist überhaupt nicht schlimm für mich, es ist Schauspielerei, das ist ja nicht echt.
Hat sich dein Leben seit dem Dreh verändert, sich dadurch verändert?
Nein, nicht wirklich. Seit der Berlinale bin ich nur auf Facebook etwas berühmter geworden. Alle sagen: „Ich hab dich im Fernsehen gesehen, urlanger Bericht“ usw. oder fragen, wann der Film ins Kino kommt und wollen mit mir hingehen. Ich muss schon mit 50 Leuten ins Kino gehen (lacht).
Das ist zumindest gut für den Film. Danke für das Gespräch.