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A Mother Brings Her Son to Be Shot

4
Doku

Eigentlich sollte es heißen (und das ist kein Spoiler) A Mother Brings Her Son to Be Shot in both Legs. Das wäre weniger reißerisch, dafür umso näher an der Wahrheit dran – aber darum scheint es dem Dokumentarfilm nicht zu gehen.

Obwohl der Kampf der IRA offiziell 1998 beendet wurde, ist Derry, Nordirland, noch immer im Ausnahmezustand. Die Bewohner akzeptieren weder Polizei noch die britische Regierung, stattdessen sorgen bewaffnete Milizen selbst für Ruhe und Ordnung – wird zumindest behauptet. Majella O’Donnell muss eines Nachts ihren Sohn Philly zu einem vereinbarten Treffpunkt bringen, damit auf ihn geschossen werden kann. Warum? Er hat gegen die Regeln von Derry verstoßen, Drogen genommen und Schulden gemacht, und muss dafür bestraft werden, ihm soll in beide Beine geschossen werden. Sie weiß es, er nicht. Wie geht die Familie danach damit um? Wie geht die Gemeinschaft von Derry damit um? Wann hören Kriege jemals wirklich auf?

Die Regisseurin und Journalisten Sinéad O’Shea hat die Familie O’Donnell und die Stadt Derry fünf Jahre lang begleitet, interviewt, abgefilmt und versucht einen Einblick in die Denk- und Handlungsweise der Bewohner zu bekommen. Alleine die Herangehensweise als Außenstehender zu versuchen die zerrüttete, aufgewühlte Geschichte dieses Ortes und seiner Einwohner innerhalb von fünf Jahren zu verstehen, in einer so kurzen Zeit etwas kennenzulernen, was sich über Jahrzehnte gestreckt und in das Denken der Menschen eingenistet hat, wirkt vielmehr anmaßend als aufrichtig und macht es schlichtweg unmöglich die Mentalität dieser Menschen adäquat wiederzugeben. A Mother Brings Her Son to Be Shot ist reißerischer Journalismus in Reinform und wirkt stellenweise wie eine schlecht gemachte TV-Doku, im besten Fall wie ein halbwegs geglückter abgefilmter Artikel, der wenig Tiefgang bietet und weder der Familie O’Donnell noch den Einwohnern von Derry gerecht wird.

Man hat niemals das Gefühl, dass es der Filmemacherin um Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit geht, dass es der Dokumentation um ein wahres Verständnis der Einheimischen von Derry oder dem Schicksal der Familie O’Donnell geht (ein Umstand der sich auch in der späteren, nur bedingt unterschwelligen Unfreundlichkeit der Familie gegenüber der Regisseurin zeigt), sondern es sich in erster Linie nur um ihre eigene Reputation und Profilierung handelt, eine reine Selbstdarstellung eben. Dahinter verkommt der eigentliche Inhalt des Films, der für sich genommen aufwühlend und dramatisch ist, zu einer simplen Kuriositätenschau zur Befriedigung der Neugier des Publikums. Unfreiwillig hält der Film damit unserer bevorzugten medialen Betrachtungsweise (je reißerischer, desto besser) einen Spiegel vor die Augen. Zumindest in dieser Hinsicht funktioniert A Mother Brings Her Son to Be Shot.

Regie und Drehbuch: Sinéad O’Shea, Filmlänge: 84 Minuten, läuft am 01.12.2018, 22:45 Uhr im Top Kino im Rahmen des This Human World