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Die Einsamkeit als ständiger Begleiter Teil 3: No Turning Back

Auf den ersten Blick weniger spannend und mitreißend als seine zeitnahen Konkurrenten Gravity und All is Lost, bietet No Turning Back (Originaltitel: Locke) jedoch ein Bild des wahren Ausmaßes an Einsamkeit des modernen Menschen. Ein Mann fährt um sein Leben. Nicht in dem Sinne, dass er Gefahr läuft zu sterben, sondern um die Scherben seiner Taten zusammen zu klauben und nicht den gleichen Weg einzuschlagen, wie sein Vater, der vor allem durch Abwesenheit und Ablehnung geglänzt hat.

Alleine dadurch wurden Ivan Locke (grandios wie immer: Tom Hardy) die Gene der Einsamkeit quasi schon in die Wiege gelegt. Sein ganzes Leben dreht sich immer schon darum zielstrebig seinen Weg zu gehen, für seine Familie da zu sein und für seine Fehler gerade zu stehen. Ein aufrechter Mann, der wegen einer Affäre droht, alles zu verlieren, was ihm etwas bedeutet und trotzdem zu jener Frau fährt, die sein uneheliches Kind auf die Welt bringt, nur um bei ihr zu sein und um für das Kind da zu sein, denn es ist auch seines und dazu steht er.

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Steven Knight geht mit No Turning Back (im Zusammenhang mit der Handlung des Films eigentlich ein seltener Fall, wo der “deutsche” Titel aussagekräftiger ist, als der Originaltitel) einen komplett konträren (und schwierigeren) Weg. Anstatt seinen Helden in ein bedrohliches Umfeld zu verfrachten, wo er ständig um sein Leben bangen und kämpfen muss, befindet sich Ivan Locke in der denkbar banalsten Situation wieder: er fährt Auto und telefoniert. Trotzdem gelingt es Knight und Hardy den dramaturgisch dichtesten und emotional stärksten Filme dieser drei Genre-Vertreter abzuliefern. Doch woran liegt das?

Zum einen gerade daran, dass es eine vollkommen alltägliche äußere Handlung ist, die wir hier zu Gesicht bekommen und der Zuschauer somit nicht von der Umgebung des Protagonisten abgelenkt wird, gleichzeitig kann das Publikum schon alleine dadurch eine Verbindung zum Helden herstellen, er ist kein Astronaut oder am Meer gestrandeter Seefahrer, nein, Locke ist ein auf dem asphaltierten Highway gestrandeter, in seinem modernen Fahrzeug eingeschlossener Held, der jedoch nichts heldenhaftes an sich hat. Alleine dadurch wird sofort ein größeres Identifikationspotenzial geschaffen. Des weiteren erstreckt sich diese Identifizierung auch auf das Konkrete Problem von Ivan Locke. Eine persönliche Verfehlung, die er bemüht ist wieder in Ordnung zu bringen – bis zu jenem Punkt, wo es für ihn eben kein Zurück mehr gibt.

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Zum anderen funktioniert No Turning Back deshalb, weil er sich die Mühe macht und der Herausforderung stellt das Innenleben einer komplexen Figur darzustellen, gleichsam eine Charakterstudie abzuliefern, die aufgrund ihres Genres nur mit den reduzierten Mitteln eines abgeschotteten Raumes und eines einzelnen Protagonisten arbeiten kann. Dieses schwierige unterfangen meistert Knight nicht nur dank seines dichten Drehbuchs, sondern auch wegen der vereinnehmenden Leistung von Tom Hardy. No Turning Back ist jedoch kein zugänglicher Film, nicht in dem Sinn wie Gravity und All is Lost.

Man muss sich auf den Film einlassen, auf seine Reduzierung einer inneren Spannung, die geschickt konterkariert wird durch die banale, alltägliche äußere Umgebung. Ivan Locke ist die Darstellung des modernen Individuums, gefangen in einer entmenschlichten, gesichtslosen Gesellschaft in der nur äußere Werte von belang sind, der aber verzweifelt für seine persönliche Integrität kämpft – gewisse Parellelen zu J.G. Ballards Concrete Island oder High Rise sind vor allem in dem Sinne vorhanden, dass diese Werke mit der zunehmenden Vereinsamung des Menschen spielen, je mehr er sich der alltäglichen Technik hingibt (unabhängig davon, wie “banal” jene Technik sein mag).

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In allen drei Filmen finden wir somit einsame Helden, die entweder gegen äußere oder innere Widrigkeiten zu kämpfen haben. Doch nur in Steven Knights No Turning Back finden wir mehr, finden wir uns selbst, in einer zeitgenössischen Schilderung, was es bedeutet in der heutigen Zeit Mensch zu sein. Obwohl umgeben von anderen Autofahrern und in ständigem Dialog über sein Handy, ist Locke dennoch “Gottes einsamster Mensch” (wie Travis Bickle in Taxi Driver sich selbst bezeichnet). Gerade das Handy stiehlt seinen Dialogpartnern die Gesichter, gerade das Auto isoliert ihn immer mehr von seiner Umgebung. Er ist letztlich nur einer von vielen einsamen Protagonisten, die Nachts über die scheinbar endlosen Autobahnen fahren und völlig losgelöst werden von dem tatsächlichen Kontakt zu anderen Menschen. In allen drei Filmen ist die Einsamkeit der Begleiter der Hauptfigur, doch nur im Falle von Ivan Locke ist sie ein ständiger, weil in seinem inneren Konflikt tief verankerter Begleiter, weit über die Grenzen des Films hinaus.